Die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 ist zwar technisch bereits fertiggestellt, Gas strömt aber noch nicht. Die Nord Stream 2 AG, die zu 100 Prozent dem russischen Gasriesen Gazprom gehört, hat die Zertifizierung bei der deutschen Bundesnetzagentur beantragt. Es folgen einige wichtige Informationen über den Weg zur Öffnung der Leitung. An der Finanzierung der Pipeline ist auch die OMV beteiligt.
Wie ist der Stand der Dinge?
Die Bundesnetzagentur hat noch bis Anfang Jänner Zeit, die Unterlagen zu prüfen. Dabei geht es insbesondere darum, ob die Betreiber die EU-Regeln zur Entflechtung einhalten, wonach die Gasproduktion und der Gastransport getrennt sein müssen. Das heißt, ein Unternehmen kann nicht gleichzeitig Gas fördern und Eigentümer der Leitung sein. Nord Stream 2 hält dies für unfair und hatte eine Ausnahme beantragt, was die Netzagentur ablehnte. Ein Gutachter des Europäischen Gerichtshofs hatte in der vergangenen Woche zum Fall Nord Stream 2 erklärt, grundsätzlich habe der Betreiber das Recht, gegen die Entscheidung vorzugehen.
Wie geht es weiter?
Die Entscheidung über die Zertifizierung wird bei der Netzagentur in einer unabhängigen Beschlusskammer durch die Vorsitzende der Kammer und zwei Beisitzerinnen oder Beisitzer getroffen. Die deutsche Bundesnetzagentur gibt ihre Empfehlung weiter an die EU-Kommission. Diese hat zwei Monate Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Sind sich beide einig, kann die Zertifizierung erfolgen – wenn nicht, droht eine weitere Verzögerung.
Kann die Bundesnetzagentur die Inbetriebnahme blockieren?
Nicht wirklich. Die Zertifizierung ist zwar erforderlich für den Betrieb, die Mittel gegen eine frühere Inbetriebnahme sind aber begrenzt. Ein Verstoß wäre eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld von einer Mio. Euro geahndet werden kann – eine Summe, die Gazprom wohl locker aufbringen könnte in dem Milliarden Euro schweren Gasmarkt. Im August hatte Gazprom erklärt, heuer voraussichtlich noch 5,6 Mrd. Kubikmeter Gas durch die Doppelröhre transportieren zu wollen. Das ist etwa ein Zehntel der Gesamtkapazität – sofern die Lieferungen noch im Oktober beginnen. Ein Verstoß gegen die Zertifizierungsauflage wäre allerdings ein Affront gegen Deutschland.
Was geschieht hinter den Kulissen?
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach Angaben aus Regierungskreisen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin klar gemacht, dass er lieber entlang der Zusagen und Regeln spielen sollte, wenn er dauerhaft Unterstützung für das Projekt haben wolle. Sie habe betont, dass politische Grundlage für den Betrieb der Pipeline sei, dass Russland die Ukraine weiter als Transitland für Gas nutze – dies gelte auch für die Zukunft, hatte sie warnend hinzugefügt. „Putin ist klug genug, zu wissen, dass die Stimmung in der deutschen Politik für das Projekt eher schwieriger wird, er also keine Vorwände bieten sollte, doch noch den Betrieb zu stören“, hieß es in der Regierung.
Spielt der Ausgang der Bundestagswahl eine Rolle?
Bis zur Amtseinführung einer neuen Regierung bleibt mit dem deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier ein Befürworter der Pipeline im Amt. Merkel hatte im Sommer mit den USA eine Vereinbarung erzielt, die den Weg zur Fertigstellung der Pipeline freigemacht hatte. Dies könnte selbst bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen nicht einfach rückgängig gemacht werden.
Was würde eine Kanzlerschaft von Scholz bedeuten?
Auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte sich als Finanzminister dafür eingesetzt und den Amerikanern noch in Zeiten des früheren US-Präsidenten Donald Trump Investitionen von einer Milliarde Euro in LNG-Terminals in Aussicht gestellt, wenn die USA Sanktionen gegen die an dem Projekt beteiligten Firmen fallenlassen sollten. „Scholz stünde bei einem Kurswechsel zudem sofort unter starken Druck der einflussreichen SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern“, sagt ein Regierungsvertreter. Es werde in der Debatte oft übersehen, dass von CDU-Chef Armin Laschet, über CSU-Chef Markus Söder bis zu allen Ostministerpräsidenten aller politischen Couleur fast alle Länderchefs hinter dem Pipeline-Projekt stünden. Gerade Bayern poche auf sichere Gaslieferungen, weil es aus den dort wichtigen Atomkraftwerken aussteige.
APA/ag