Tschechen fürchten einen kalten Winter

10. November 2021, Prag

Energiepreisexplosion. Medien empfehlen, nicht zu viel zu heizen. Weiterer Kostenanstieg erwartet.

So etwas hat es in der Geschichte Tschechiens noch nie gegeben: Große Zeitungen empfehlen ihrer Leserschaft, die Räume auf höchstens 20 Grad zu heizen. Angesichts massiv steigender Gas- und Strompreise geht die Angst vor einem besonders kalten Winter um. Begonnen hatte das große Bibbern, als ein größerer und in der Folge mehrere kleinere Energieversorger ihren Betrieb einstellen mussten. Davon betroffen sind rund eine Million Abnehmer. Die Unternehmen hatten ewig mit dauerhaft niedrigen Preisen Werbung gemacht.

Die von der Schließung betroffenen Verbraucher sind zunächst einmal auf einen Energielieferanten mit dem in diesem Zusammenhang tatsächlich bizarren Namen „Zur letzten Instanz“ angewiesen, bis sie bei anderen Unternehmen wie CEZ oder E.On unterschlüpfen können. Für zumindest zwei Monate werden die Menschen von der „Letzten Instanz“ drastisch zur Kasse gebeten. Und preisgünstiger wird es bei den neuen Anbietern auch kaum werden.
Der Chef des halbstaatlichen Energieunternehmens CEZ, Daniel Benes, rechnet damit, dass sich die Strompreise noch um ein Drittel erhöhen und die Gaspreise um bis zu 60 Prozent ansteigen werden. „Weihnachtsgeschenke für die Kinder und Enkel“, so heißt es vor allem unter den finanziell nicht auf Rosen gebetteten Pensionisten, „wird es dieses Jahr wohl kaum geben können.“

Mehrwertsteuer auf null setzen?

Der scheidende Regierungschef, Andrej Babis, versucht, die Leute, so es geht, zu beruhigen. „Wir werden den Menschen so helfen, dass sie die Steigerung der Strompreise praktisch nicht spüren werden“, versprach er. Und kündigte unter anderem an, die Mehrwertsteuer auf alle Energiearten von 21 Prozent auf null zu senken. „Das ist die einfachste Lösung, die die Leute auch gleich auf ihrer monatlichen Rechnung sehen werden“, sagte Babis. Die Regierung hat diese Senkung nicht nur für die verbleibenden zwei Monate des Jahres beschlossen, sondern auch für das komplette kommende Jahr. Dem Beschluss der Regierung fehlt freilich noch die Zustimmung des Parlaments. Das bisherige hat jedoch seit den Wahlen Anfang Oktober keine Macht mehr. Und das neue Parlament muss sich am 8. November erst einmal konstituieren. Dort herrschen andere Machtverhältnisse. Und die Wahlsieger über Babis haben ernste Bedenken gegen die Mehrwertsteuersenkung auf null, weil diese mit der EU nicht so einfach zu haben sein werde. Und mit der wolle man sich nicht anlegen.

Prag forciert Atomkraftwerke

Das Thema dürfte die EU im kommenden Jahr angesichts der Energiepreisexplosion weiter beschäftigen. Auch deshalb, weil der EU-Ratsvorsitz im Jänner von Slowenien zuerst auf Frankreich, später auf Tschechien übergeht. In Paris und Prag tickt man in Sachen Kernenergie sehr ähnlich. Tschechien besteht darauf, dass der europäische Klimakampf nur unter Heranziehung auch der Kernenergie zu gewinnen sei. Die EU müsse neue Atomkraftwerke unterstützen, weil sie eine „klimaneutrale und verlässliche Energiequelle“ seien.

Die Presse

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