Bilanz. Zum ersten Mal in der Geschichte hat der Gasriese in den ersten neun Monaten des Jahres bereits mehr verdient als in jedem Gesamtjahr bisher. Der verrückte Gaspreis machte es möglich.
Der russische und weltweit größte Gaskonzern Gazprom schwimmt derzeit geradezu im Geld. Wie er gestern in Moskau mitteilte, betrug der Nettogewinn im Zeitraum zwischen Jänner und September ganze 1,5 Billionen Rubel (17,8 Milliarden Euro). Die Summe besticht nicht nur angesichts des vorjährigen Verlustes von 202 Milliarden Rubel. Sie übertrifft jeden bisherigen Gesamtjahresgewinn in der Geschichte des halbstaatlichen Konzerns.
„Die Situation an den Exportmärkten hat den Ausschlag gegeben, sagte Famil Sadygov, Vize-Konzernchef, nach der Zahlenpräsentation: „Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Dynamik erwarten wir für das vierte Quartal noch beeindruckendere Ergebnisse.“
Andere ließen Europa im Stich
Wie alle Gasunternehmen profitiert Gazprom von der beispiellosen Preisexplosion bei Erdgas. Vor allem im zweiten Halbjahr spitzte sich die Lage an den Gasmärkten zu. Die wirtschaftliche Erholung ließ den Bedarf hochschnellen, außerdem blieben die Lieferanten erneuerbarer Energie in Europa, Gazproms wichtigstem Markt, hinter den Erwartungen zurück. Und weil die internationalen Produzenten von Flüssiggas (LNG) ihre Lieferungen lieber nach Asien umlenkten, wo noch höhere Preise gezahlt wurden als in Europa, musste Europa massiv auf den russischen Lieferanten zurückgreifen. Firmenangaben zufolge hat Gazprom in den ersten neun Monaten über 53 Prozent des europäischen Gasimports abgedeckt. Davor waren es für gewöhnlich bis zu 40 Prozent.
Die enorme Preisentwicklung
Die Volumina sind das eine. Das andere ist der Gaspreis. Im dritten Quartal betrug der durchschnittliche Exportpreis 313,40 Dollar je 1000 Kubikmeter, während er ein Jahr zuvor noch bei 117,2 Dollar gelegen war. Um eine Vorstellung von der Preisdynamik im Herbst zu bekommen: Zahlten die Europäer am 30. August noch 600 Dollar je 1000 Kubikmeter, so am 15. September 970 Dollar und am 6. Oktober den absoluten Rekord von 1969 Dollar. Dies bescherte Gazprom allein im dritten Quartal einen Rekordgewinn von 581,8 Milliarden Rubel. Der Umsatz kletterte im selben Zeitraum auf 2,4 Billionen Rubel – nach 1,4 Bio. Rubel im Vergleichsquartal des Vorjahres. Für die ersten neun Monate beläuft sich der Umsatz auf 6,7 Bio. Rubel nach 4,3 Billionen ein Jahr früher.
Einige Politiker und Experten hatten dem Konzern vorgeworfen, die angespannte Situation am Gasmarkt zu verschärfen, indem er nicht genug Gas liefere. Gazprom beteuerte, alle Lieferverträge zu erfüllen, was Europas Importeure bestätigten. Offen blieb nur, ob Gazprom zusätzliches Gas – über das vertragliche Volumen hinaus – hätte bereitstellen können. Kremlchef Wladimir Putin verfügte später, Gazprom solle nach Auffüllen der russischen unterirdischen Speicher auch die Volumina in Deutschland und Österreich erhöhen.
Im Clinch mit Europa
Russland seinerseits wirft Europa vor, die Gaskrise dadurch verschuldet zu haben, dass es die einstigen stabilen langfristigen Lieferverträge mit Russland, in denen der Gaspreis an den Preis für Ölprodukte gekoppelt war, aufgegeben und Gazprom zum Gasverkauf an den Spotmärkten gezwungen hatte.
Europa ist Gazproms lukrativster Exportmarkt. Die Ausfuhren nach China betragen bislang einen Bruchteil davon. Mit Europa noch nicht gelöst ist der Streit um die Inbetriebnahme der neuen Exportpipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee. Gazprom hätte sie gern schon dieses Jahr genützt, weil der Exportweg kürzer ist als der traditionelle durch die Ukraine.
Die Presse