„Gas muss billig sein, um Kohle zu ersetzen“

1. Dezember 2021

Wir müssen eine Energiewende anstreben, die auch umsetzbar ist, sagt der Analyst Johannes Benigni. Wer dem Klima rasch helfen will, sollte die ärmeren Länder Asiens dabei unterstützen, ihre Energieversorgung von Kohle auf Erdgas umzustellen.

Der globale Wirtschaftsaufschwung des heurigen Jahres fußt auf fossilen Energieträgern. Die Preise für Erdöl, Erdgas, Strom und Kohle sind um ein Vielfaches gestiegen. Etliche Unternehmen müssen die Produktion kappen, Werke stilllegen oder ihre Preise erhöhen. Endkunden halten immer höhere Energierechnungen in den Händen – und die Welt hat gelernt, dass der angesagte Abschied von den Fossilen wohl doch nicht so bald da sein wird. Aber ist das Ende von Kohle, Öl und Gas damit abgesagt -oder nur verschoben, fragen wir den langjährigen Öl-und Gasspezialisten Johannes Benigni.


Kohle, Öl und Gas erleben heuer ein unerwartetes Comeback. Ist das nicht anachronistisch in einer Zeit, in der alle nur noch von der grünen Wende reden? Johannes Benigni: Natürlich müssen wir CO2 reduzieren. Das ist kein Geheimnis. Die Frage ist aber, wie wir das tun und wie sich die Nachfrage verhält.


Europas Antwort lautet: Raus aus den Fossilen, rein in die Erneuerbaren und Emissionen kappen. Die Klimaziele, die nun überall formuliert werden, sind extrem ehrgeizig. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass die Hälfte der Technologien, die man braucht, um die Emissionen bis 2050 zu halbieren, noch zu entwickeln sind, d. h. es gibt sie noch nicht. Die Politik aber tut so, als gäbe es sie schon. Wenn ich das Klima wirklich rasch retten will, gibt es eigentlich nur einen Weg: Raus aus Kohle, weil Kohle die höchsten CO2-Emissionen hat und doppelt so viele wie Gas. Das bedeutet einerseits viel Geld für den Ausbau der Erneuerbaren, aber gleichzeitig auch deutlich mehr Investitionen in Gas, um die Versorgung sicher zu stellen.


Viele institutionelle Investoren haben allerdings bereits angekündigt, sich aus der Finanzierung von Kohle zurückziehen zu wollen. Geraten als nächstes nicht auch die Ölund Gaskonzerne unter Druck? Die USA haben einen großen Sprung in der Energiewende geschafft, weil sie Anfang der 2000er Schiefergas gefunden haben und damit die viel klimaschädlichere Kohle in ihrem Energiemix deutlich reduziert haben. Hören Investoren immer nur, dass alle Fossilen verbannt werden, werden sie ihr Geld nicht in diese Branche stecken. Die Folge: Es gibt nicht genug Angebot, Gas wird teuer und die Welt verbrennt stattdessen wieder Kohle. Wir müssen eine Energiewende anstreben, die auch umsetzbar ist. Das geht nicht anders, als mit massiven Investitionen in Gas, um Kohle zu verdrängen. In Asien kommen immer noch zwei Drittel der Energie aus Kohle. Hier wird das Spiel entschieden, nicht in Österreich.


Die politischen Willensbekundungen gehen -zumindest in Europa -in eine andere Richtung. Ist es unter diesen Umständen wirklich noch sinnvoll, in die fossile Branche zu investieren? Die Öl-und Gaswirtschaft wird in den nächsten 20 Jahren hohe Renditen abwerfen. Die Unternehmen werden den meisten Gewinn mit Öl und Gas erzielen, die Investitionen werden sukzessive in den erneuerbaren Bereich gehen. Gleichzeitig wird aber die globale Energienachfrage nicht weniger. Wir rechnen, dass der Höhepunkt der Nachfrage nach Erdöl 2027 erreicht sein wird. Bei Gas erwarten wir diesen Punkt ungefähr zehn Jahre später. Es ist also noch lange genug Nachfrage da -und das bedeutet, dass investiert werden muss.


Wie bewerten Sie die Versuche vieler Öl-und Gaskonzerne, sich neu zu erfinden, um auch in eine CO2-ärmere Welt zu passen? Ich glaube das Problem ist, dass viele nicht wissen, was sie machen sollen. Jeder hat Angst vor dem Investor, der plötzlich ein Agiteur wird. Mir hat gut gefallen, was z. B. Shell gemacht hat. Das Unternehmen hat früh erkannt, dass Kohle und Öl marginalisiert werden, Gas aber die nächsten Jahre eine wichtige Rolle spielen wird. Seit sechs Jahren stellt Shell daher sein Portfolio entsprechend um. Gas wird sich nicht wegwischen lassen. Es ist auf Sicht die einzige erkennbare Möglichkeit, sich sicher mit Energie zu versorgen, ohne dabei extrem viel COz zu emittieren.
In der heimischen Politik werden Sie mit diesem Vorschlag auf wenig Gegenliebe stoßen. Österreich ist in der Klimapolitik auch nicht relevant. Natürlich können wir den letzten Tropfen Heizöl wegoptimieren – wir sind reich und können es uns leisten. Was mir gut gefällt, ist, dass wir uns bei der Entwicklung von grünem Gas engagieren. Aber um beim Weltklima etwas zu verändern, müssen wir die Energieversorgung in Indien, China und Indonesien von Kohle auf Gas umstellen. Indiens Versprechen, ab 2070 klimaneutral zu sein, ist ohne Geld aus dem Ausland unrealistisch, und wie wir hören, fordert Indien dazu jetzt auch 1000 Milliarden US-Dollar (eine Billion) an Ausgleichszahlungen. Dafür braucht es eine neue Art der Entwicklungshilfe. Wir müssen in Asien in Erneuerbare und Gas investieren. Gas muss billig sein, damit es sich die armen Länder leisten können, Kohle damit zu ersetzen. Die Volumina dort sind so gigantisch, dass wir es ohne Asien gar nicht schaffen können, die Klimaziele zu erreichen. Alles andere ist nice to have.


Derzeit ist Erdgas auf der ganzen Welt alles andere als billig. Worin sehen Sie die Gründe für den rasanten Preisanstieg der letzten Monate? Die hohen Energiepreise sind vor allem der Volatilität der Nachfrage geschuldet. Im Vorjahr ist die Nachfrage eingebrochen, heuer massiv gestiegen. In der Gasbranche gab es davor fünf Jahre lang ein Überangebot, entsprechend wenig wurde investiert – das fällt uns jetzt auf den Kopf. Dazu kamen kalte Winter und heiße Sommer in Asien, die den Energieverbrauch in die Höhe schnellen ließen. Anders als in Europa, gibt es dort kaum Gaslager. Die Menschen leben von der Hand in den Mund. Gleichzeitig kauft Brasilien mehr Flüssiggas, weil die Wasserkraftwerke wegen der Dürre nur reduziert Strom liefern. Europa hatte heuer weniger Eigenproduktion, und Russland lieferte weniger Gas über die Spotmärkte nach Europa als üblich, weil es u. a. sein Kundenportfolio erweitert hat.


Anfang November hat der russische Präsident Wladimir Putin angekündigt, die Erdgas-Liefermengen nach Europa zu erhöhen. Wird das Druck aus dem Markt rausnehmen? Schon die Ankündigung hat massiv zu Entspannung am Markt geführt. Wenn der Winter halbwegs mild wird, wird Europa gut durchkommen. Aber es wird bis 2024 dauern, bis sich der Markt vollständig erholt hat.


Manche Analysten erwarten, dass sich der Gaspreis nach der Krise langfristig auf höherem Niveau als vorher einpendeln wird. Die Preise werden die nächsten zwei Jahre lang zumindest hoch sein. Das sollte als Investitionssignal genügen, um das Angebot entsprechend auszuweiten. Voraussetzung ist natürlich, dass dieses Signal nicht durch politische Zwischenrufe gestört wird. Ansonsten haben wir massive Probleme.


ZUR PERSON
Johannes Benigni ist einer der fundiertesten Kenner des internationalen Energiemarkts. Der gebürtige Österreicher begleitet die Öl-und Gaswirtschaft seit Jahrzehnten als Analyst, Studienautor und Berater.


Benigni ist seit 1994 Vorsitzender und Gründer des Beratungsunternehmens JBC Energy Group mit Sitzen in Wien und Singapur. Zuvor gründete und leitete der Absolvent der Wirtschaftsuniversität in Wien die PVM Oil Associates GmbH. Er ist regelmäßiger Vortragender bei internationalen Konferenzen und war Gastprofessor für internationalen Handel an der Wirtschaftsuniversität in Prag.


Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Preismechanismen und -strategien sowie die Analyse von Angebot und Nachfrage.

Die Presse

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