Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Betriebserlaubnis für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 und die Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise als getrennte Vorgänge. „Es handelt sich im Hinblick auf Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben“, sagte er in der Nacht auf Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Für die Inbetriebnahme der Pipeline sei nun noch in einem Teilaspekt die Übereinstimmung mit europäischem Recht zu klären.
„Darüber entscheidet ganz unpolitisch eine Behörde in Deutschland“, betonte der SPD-Politiker. Dies sei „eine andere Frage“ als die aktuellen Bemühungen darum, eine Verletzung der ukrainischen Grenzen zu verhindern.
Die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland wurde vor Wochen fertiggestellt. Über die Betriebserlaubnis entscheidet die Bundesnetzagentur. Deren Präsident Jochen Homann hatte am Donnerstag gesagt, dass über eine Erlaubnis für den Gastransport noch nicht vor Mitte 2022 entschieden werde.
Ein Zertifizierungsverfahren hatte die Bundesnetzagentur im November vorerst ausgesetzt. Diese Zertifizierung komme nur dann infrage, wenn die Betreiberfirma in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert sei, hieß es. Dem will die Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug mit Gründung einer deutschen Tochterfirma entsprechen.
Die viermonatige Frist für das Verfahren wäre eigentlich im Jänner abgelaufen. Die Zeit, für die das Verfahren ausgesetzt ist, wird aber nicht gezählt. Die verbleibende Frist von weniger als zwei Monaten zählt erst wieder ab Wiederaufnahme des Verfahrens. Auch nach einer Entscheidung der Bundesnetzagentur ist anschließend eine Überprüfung durch die EU-Kommission vorgesehen, die bis zu vier Monate dauern kann. Nach der Stellungnahme aus Brüssel hat wiederum die Bundesnetzagentur zwei Monate Zeit für eine etwaige Zertifizierung.
Die Pipeline wird seit Langem von den USA, aber auch von einigen EU-Ländern scharf kritisiert. Sie befürchten eine zu große Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung.
Beim EU-Gipfel in Brüssel hatte der lettische Regierungschef Krišjānis Kariņš am Donnerstag dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, die Pipeline zur Erpressung der EU zu nutzen.
Die EU hatte Russland auf ihrem Gipfel für den Fall eines Angriffs auf die Ukraine geschlossen mit Vergeltung gedroht. In einer gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs heißt es, Russland müsse dringend die Spannungen entschärfen, die durch den Aufmarsch von Truppen an der Grenze zur Ukraine und aggressive Rhetorik entstanden seien. Jede weitere militärische Aggression werde „massive Konsequenzen und hohe Kosten“ zur Folge haben. Immer wieder wird über einen Stopp von Nord Stream 2 als mögliche Konsequenz spekuliert.
Auch in den zweiten Strang der Pipeline wird unterdessen Gas eingeleitet. Die schrittweise Befüllung zum Aufbau des erforderlichen Drucks habe am Freitag begonnen, teilte die Nord Stream 2 AG mit. Zuvor seien Prüfungen an der Leitung abgeschlossen worden. Die erstmalige Befüllung ist Voraussetzung für den Betrieb der Leitung. Wann dieser aufgenommen wird, ist allerdings noch unklar. Die Befüllung des ersten Strangs war laut Betreiber im Oktober abgeschlossen worden.
APA/dpa