Seinen ersten EU-Gipfel wird Karl Nehammer so schnell wohl nicht vergessen. Er habe vorab zwar gewusst, dass die Debatten zu Energiepolitik und Klimazielen „robust“ werden würden, sagte der Bundeskanzler spät nachts, als alles vorbei war. Wie trickreich und hart es im Kreis der Staats- und Regierungschefs abgeht, hat er aber unterschätzt.
Nehammer gewann „eine Schlacht“, wie er es nannte, aber den „Krieg“ um den von ihm ersehnten raschen Ausstieg Europas aus der Atomenergie hat er verloren, vorläufig jedenfalls. Als Vertreter Österreichs tat er das, was alle seine Vorgänger seit dem EU-Beitritt 1995 gemacht haben: Er trat in Sachen Kernenergie mit einer Fundamentalposition auf. Das ist ein legitimes Anliegen, bringt innenpolitisch Punkte und wird von NGOs und Medien unterstützt. Aber gemeinsame europäische Politik funktioniert so nicht: Die baut auf Kompromisse.
Österreich will im Verbund mit Luxemburg und Irland – ermuntert von Deutschland – verhindern, dass die EU-Kommission Energie aus AKWs und Gaskraftwerken als umweltschonend einstuft. Eine Entscheidung dazu steht an. Die EU hat global die ehrgeizigsten Klimaziele, will den kompletten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zügig umsetzen. Dafür braucht es bis 2050 hunderte und tausende Milliarden Euro an Investitionen von den Finanzmärkten. Und private Anleger wollen wissen, welche Regeln dafür in der EU gelten.
Unter Führung der Atomgroßmacht Frankreich drängt eine breite Mehrheit von Staaten darauf, Nuklearstrom als „Brückenenergie“ zu akzeptieren. Österreich und Luxemburg können da wenig ausrichten. Auch wegen Deutschland: Kanzler Olaf Scholz, der gerne die Gaspipeline Nord Stream 2 öffnen würde, sagte bei einer deutsch-französischen Pressekonferenz, der Streit um nichtfossile Energie werde „völlig überbewertet“. Neben ihm lächelte Präsident Emmanuel Macron.
Der Standard