Deutsche AKW: Da waren es nur noch drei

28. Dezember 2021

Mit Jahreswechsel erreicht der Ausstieg aus der Nuklearenergie seine vorletzte Stufe: Weitere AKW gehen vom Netz.

Drei von ehemals 17: So viele Atomkraftwerke werden in ein paar Tagen in Deutschland noch Strom liefern. Mehr als elf Jahre nach dem Beschluss für einen beschleunigten Atomausstieg wird sich das Land Ende 2022 von der Kernenergie verabschieden. Fast geräuschlos verläuft seit Jahren der Abschied von der Technik, die wie kaum eine andere die Gesellschaft in der Bundesrepublik gespalten hat.


Der Meiler in der schleswig-holsteinischen Gemeinde Brokdorf – ein Symbol der Anti-Atomkraft-Bewegung – geht noch dieses Jahr vom Netz, ebenso die AKW Grohnde und Gundremmingen C. Spätestens am 31. Dezember 2022 erlischt nach dem Atomgesetz auch für die letzten drei Meiler – Isar 2, Emsland und Neckarwestheim II – „die Berechtigung zum Leistungsbetrieb zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität“.
Ein Zurück gibt es nicht. „Für die Energiewirtschaft in Deutschland ist der Atomausstieg endgültig“, sagt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, der Nachrichtenagentur Reuters. Für die Branche stehe erneuerbarer Strom im Zentrum – mit Erdgas als Partner und mit der klaren Perspektive auf den Einsatz von Wasserstoff und andere erneuerbaren Gase.


Betreiber im Wandel
Noch vor Jahren undenkbar, sind die AKW-Betreiber RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall längst auf die erneuerbaren Energien umgeschwenkt. Ebenfalls aus ihrer Sicht ist der Schritt unumkehrbar – auch nicht mit dem Argument, dass die Kernkraftwerke wegen ihres geringen CO2-Ausstoßes aus Klimaschutzgründen länger laufen sollten. „Wir stehen dafür nicht zur Verfügung“, sagt RWE-Vorstandsvorsitzender Markus Krebber.


„Ein Weiterbetrieb unserer Kernkraftwerke über den gesetzlichen Endtermin hinaus ist für uns kein Thema. Dabei bleibt es“, betont auch E.ON-Chef Leonhard Birnbaum gegenüber Reuters. Der ehemals größte AKW-Betreiber in Deutschland setzt inzwischen auf das Geschäft mit Netzen, der Digitalisierung und der Elektromobilität. „Kurz vor Abschalten in Deutschland eine Debatte darüber zu starten, ob Kernkraftwerke einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, ist befremdlich. Sie kommt viel zu spät und nutzt keinem mehr.“ Allerdings sei offensichtlich, dass andere Industrienationen dem deutschen Weg nicht folgten. Natürlich werde insbesondere Frankreich weiter Strom aus Kernenergie in den europäischen Energieverbund einspeisen. „Und egal, wie wir die erneuerbaren Energien ausbauen, Deutschland wird ein Importland für Energie bleiben.“


Schwankende Produktion
„Technisch gesehen könnten die Kernkraftwerke in Deutschland auch deutlich länger betrieben werden und somit ihren Beitrag zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen weiter leisten“, betont der Atomlobbyverband Kerntechnik Deutschland (KernD). Die Organisation, die aus dem 1959 gegründeten Atomforum hervorging, räumt jedoch ein, dass ein Weiterbetrieb wenig wahrscheinlich sei.


Denn die Konzerne haben schon alle Vorbereitungen getroffen. „Alle unsere Planungen zielen seit Jahren auf das Enddatum des Leistungsbetriebs mit den entsprechenden Folgen“, erklärt E.ON mit Blick auf die Atom-Tochter PreussenElektra. „Wir verfügen nicht mehr über den Brennstoff. Und auch das erforderliche Personal, das wir zum Betrieb unserer Anlagen benötigen würden, steht nach der Abschaltung nicht mehr in ausreichendem Maße für einen Leistungsbetrieb bereit.“ Dies gelte ebenfalls für die Zulieferer.


Im heurigen Jahr steuerten die sechs noch laufenden Atomkraftwerke nach vorläufigen Zahlen des Branchenverbands BDEW noch rund 12 Prozent zur Stromproduktion in Deutschland bei. Der Anteil der erneuerbaren Energien lag bei fast 41 Prozent. Kohle kam auf knapp 28 Prozent, Gas auf gut 15 Prozent. Bis 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren auf 80 Prozent steigen.


Ein Problem ist bisher aber nicht gelöst: Wind und Sonne produzieren manchmal in stürmischen Zeiten und in Hitzewellen viel mehr Strom als benötigt, doch wenn sie nicht produzieren, fehlt das Angebot deutlich. Die Schätzungen für den Bedarf an neuen zusätzlichen Gaskraftwerken, die für eine Übergangszeit als stabiles Backup agieren sollen, schwanken zwischen 18 und 44 Gigawatt bis 2035, mit einem Finanzierungsbedarf in zweistelliger Milliarden-Euro-Höhe.


Strahlender Müll bleibt
Wenn in gut einem Jahr das letzte AKW in Deutschland abgeschaltet wird, ist das Kapitel der Kernenergie dort allerdings noch lange nicht beendet. Wo nämlich ein Atommüll-Endlager gebaut wird, soll bis 2031 entschieden werden. Die Inbetriebnahme ist 2050 geplant. Vorher kommt die Abrissbirne.


„Für die Stilllegung – dies umfasst die Nachbetriebsphase, den Abbau der Anlage und die fachgerechte Verpackung der radioaktiven Abfälle – unserer Anlagen veranschlagen wir Kosten im Schnitt von gut 1,1 Milliarden Euro pro Anlage“, erklärt E.ON. Für diese Art von Aufräumarbeiten hat der Konzern Stand Ende 2020 Rückstellungen von 9,4 Milliarden Euro gebildet. Bis 2040 soll der Rückbau abgeschlossen sein.


„Der Konflikt um die Kernenergie hat über mehrere Jahrzehnte zu heftigen Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft geführt“, sagt Stromverbandschefin Andreae. „Es ist gut, dass dieser Konflikt durch den Ausstiegbeschluss befriedet werden konnte und die Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland bald Geschichte ist.“ / (reuters)
Symbol Brokdorf: Der Bau des AKW am Elbufer in Schleswig-Holstein in den 1970ern/1980ern war und blieb ein Kristallisationspunkt des Protests der Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung.

Von Tom Käckenhoff und Vera Eckert

Wiener Zeitung

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