Die Ökostrom-Anbieter wollen ausbauen, doch es fehlen noch wichtige Verordnungen.

3. Jänner 2022

Der Erneuerbaren-Ausbau verzögert sich

Im Sommer 2021 atmeten heimische Ökostrom-Anbieter auf. Sie waren erleichtert, weil das lang ersehnte Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) endlich beschlossen wurde. Das Gesetz legt die Rahmenbedingungen für den Ökostrom-Ausbau der nächsten zehn Jahre fest. Bis 2030 will Österreich 100 Prozent grünen Strom – mit dem kleinen Zusatz: bilanziell. Denn in den Wintermonaten, wenn wenig Sonne scheint und weniger Wasser in den Flüssen fließt, wird das Land auch künftig auf Stromimporte oder konventionelle Kraftwerke angewiesen sein.


27 Terawattstunden (TWh) sollen zugebaut werden. Das ist eine ganze Menge. Nur als Größenvergleich: Das Wasserkraftwerk Freudenau in Wien erzeugt etwas mehr als 1 TWh Strom pro Jahr. Man bräuchte also 27 Freudenau-Kraftwerke, um das Ziel zu erreichen. Der Löwenanteil beim Ökostrom-Ausbau von 11 TWh entfällt auf Photovoltaik-Anlagen, die Windkraft steuert 10 TWh bei, die (Klein-)Wasserkraft kommt auf 5 TWh und die Biomasse auf 1 TWh. Die Regierung hat sich damit ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Es bleibt fraglich, ob es in der Zeitspanne machbar ist. Mit dem derzeitigen Tempo wird es sich jedenfalls nicht ausgehen.


Das EAG dreht noch eine Runde im Nationalrat
Derzeit liegt der Erneuerbaren-Ausbau weitgehend auf Eis. Das EAG wurde zwar bereits im Juli vom Parlament beschlossen. Doch die EU-Kommission musste erst grünes Licht für eine Beihilferegelung geben. Das Okay kam am 20. Dezember. Nun muss das Gesetz noch angepasst werden. ÖVP, Grüne und SPÖ haben sich bereits darauf verständigt. Am 20./21. Jänner soll die EAG-Novelle im Nationalrat behandelt werden.


Das größte Problem, sagen Branchenvertreter übereinstimmend, seien fehlende Verordnungen. „Es sind noch keine Details zu den Verordnungen bekannt, geschweige denn, wann der Förderstart in Sicht ist“, beschreibt Vera Immitzer, Geschäftsführerin beim Bundesverband Photovoltaik Austria, die Situation. Die Verordnungen legen sowohl die Förderhöhe als auch das Prozedere fest. Sie seien noch immer nicht in Begutachtung, sagt Immitzer. Dabei war heuer eigentlich die erste Förderrunde angepeilt. „Das Klimaministerium ist in Verzug.“ Projektentwickler von Photovoltaik-Anlagen hängen nun in der Luft. Unternehmen tun sich bei der Planung für das kommende Jahr schwer, weil sie nicht wissen, wann Förderzusagen kommen und wie sie Mitarbeiter anstellen sollen.


Warten auf fehlende Verordnungen
In Summe sind im EAG 25 Verordnungen enthalten. Manche davon müssen, andere können erlassen werden. „Alle Muss-Bestimmung sind entweder bereits erlassen worden oder in Umsetzung. So ist etwa von der E-Control bereits eine Verordnung erlassen worden, die vergünstigte Netzentgelte für Energiegemeinschaften regelt“, heißt es auf Anfrage aus dem Klimaministerium. Andere, wie etwa die Investitionsförderungsverordnung, befänden sich koalitionsintern in Abstimmung. „Mit dem Abschluss der (EU-)Notifizierung kann auch der letzte Teil des Gesetzes in Kraft treten und alle darauf aufbauenden Verordnungen können ausgearbeitet werden“, heißt es weiter.
Immerhin, mit dem abgelaufenen Jahr zeigt sich der Photovoltaik-Verband zufrieden. „Finale Zahlen haben wir noch nicht. Wir rechnen mit rund 450 Megawatt Zuwachs. Das sind 30 Prozent mehr als 2020“, berichtet Immitzer. Photovoltaik-Anlagen wurden sowohl im privaten Bereich als auch etwa auf Unternehmensdächern ausgebaut.
Aufwind verspürte zuletzt auch die IG Windkraft. Der Verband der Windkraftbetreiber hat nach dem „desaströsen Jahr 2020“ heuer wieder eine Aufwärtsbewegung verzeichnet. „Heuer und in den kommenden zwei Jahren können Projekte aus der Warteschlange errichtet werden. Insgesamt werden 1.180 Megawatt freigesetzt“, rechnet Martin Fliegenschnee, Sprecher der IG Windkraft, vor. Die Warteschlange stammt noch vom alten Ökostrom-Gesetz. In Summe könnten laut Fliegenschnee 320 Windräder errichtet werden.


Das klingt nach großen Schritten, allerdings sind sie das nur bedingt. Denn diese Projekte wurden großteils schon 2015 und 2016 genehmigt. 2020 gab es dann die Förderzusage. Fast alle Projekte mussten umgenehmigt werden, weil die Technologie mittlerweile veraltet war. Bis Ende 2024 ist nun Zeit, sie umzusetzen. „Es kann nicht sein, dass man acht Jahre für die Umsetzung eines Projekts braucht. Man muss die Verfahren zeitlich begrenzen und genug Beamte für die Prüfung bereitstellen“, kritisiert Fliegenschnee. Wie stark die Windkraft heuer gewachsen ist, steht noch nicht fest. „Wir müssen die letzten Tage des Jahres abwarten, weil noch Anlagen dazukommen könnten.“ Veranschlagt für 2021 war netto ein Zubau von 52 Anlagen mit rund 275 Megawatt.


Entscheidend für die Windkraft ist, was in den Bundesländern passiert. Die Zonierung in geeignete Flächen für Photovoltaik oder Windparks fällt in die Befugnis der Länder. Dort sieht Fliegenschnee noch Nachholbedarf: „Die derzeitigen Flächen für Windkraftnutzung sind viel zu wenig. Wir brauchen in allen Bundesländern eine Überarbeitung beziehungsweise Implementierung der Zonierung.“ Vorarlberg und Tirol haben bisher gar keine Zonierung für Windkraftanlagen.


Wasserkraft-Betreiber in der Zwickmühle
Auch neue Wasserkraftanlagen werden gebraucht. Derzeit speisen rund 4.000 Kleinwasserkraftwerke insgesamt 6 TWh Strom ins Netz ein. Bis 2030 ollen 5 TWh hinzukommen. Kleinwasserkraftwerke (Anlagen bis 10 Megawatt) steuern 2,5 bis 3 TWh bei, die andere Hälfte stemmt die Großwasserkraft. Laut dem Verein Kleinwasserkraft sollen Anlagen im „niedrigen 100er-Bereich“ neu gebaut werden, das meiste kommt aus der Revitalisierung und Nutzung bestehender Strukturen, die derzeit nicht energetisch genutzt werden.


„Wir warten händeringend auf die Verordnung für die Investitionszuschüsse“, erklärt Paul Ablinger, Geschäftsführer der Kleinwasserkraft. Ein genehmigtes Projekt etwa mit einer Leistung knapp unter 500 Kilowatt müsste bis Mitte 2023 fertig sein. Für die Fertigstellung müsste in den kommenden Wochen der Auftrag für die Turbinen vergeben werden. „Aber wenn der Betreiber das macht, hat er den Zugriff auf Förderungen verwirkt“, sagt Ablinger. „Eine Zwickmühle, weil es derzeit keine Förderungen gibt.“


Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ist zwar beschlossene Sache. Doch die Krux liegt in den Details. 2022 muss der Ausbau jedenfalls an Tempo gewinnen. Sonst geht sich 2030 fix nicht aus.


Von der Planung bis zur Errichtung einer Windkraftanlage vergehen zum Teil mehrere Jahre.

Von Michael Ortner

Wiener Zeitung