Gewessler vehement gegen Energie-Plan der EU-Kommission

3. Jänner 2022, Wien/Brüssel
Gewessler will Pläne der EU-Kommission zu Fall bringen
 - Wien, APA/HANS PUNZ

Für Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist der Entwurf der EU-Kommission zur unter den Mitgliedstaaten umstrittenen Einstufung von Gas- und Kernenergie als unter bestimmten Bedingungen klimafreundlich „nicht akzeptabel“. Das bekräftigte sie am Montag im „Morgenjournal“ des ORF-Radios Ö1. Die EU-Staaten sind in der Frage gespalten. Mitstreiter hat Österreich u.a. in Deutschland und Spanien, Gegner in Frankreich und Tschechien.

Für den Fall, dass die EU-Kommission die Pläne tatsächlich so umsetzt, kündigte Ministerin Gewessler einmal mehr an, auf Basis eines Rechtsgutachtens „den Klagsweg zu beschreiten“. Sie betonte, dass das Einstufungsschema (Taxonomie) von Energieformen durch Brüssel als Label für Finanzprodukte, wie Investmentfonds diene. Der Finanzmarkt spiele eine große Rolle bei der Umleitung von Geldströmen hin zu mit Sicherheit umwelt- und klimaschützenden Technologien. Daher brauche es ein glaubwürdiges Label, auf das sich Anleger verlassen können. Dennoch könne und müsse jedes Land seine künftige Energiepolitik für sich entscheiden, betonte Gewessler.

Die Umweltministerin kritisierte erneut die Vorgangsweise der EU-Kommission, den Vorschlag am Silvestertag kurz vor Mitternacht an die Mitgliedstaaten zu versenden. Den EU-Staaten blieben nun nur zwölf Tage, um die Pläne zu kommentieren. Mitstreiter ihrer Linie sieht Gewessler in Deutschland und Spanien. Sie will weitere Allianzen gegen die Pläne bilden. Es blieben eine erhöhtes Quorum unter den Mitgliedsländern, eine einfache Mehrheit im EU-Parlament oder die avisierte Klage, um die Pläne zu Fall zu bringen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sicherte seiner Ministerin laut „Kronen Zeitung“ (Montag) jedenfalls „volle Unterstützung“ im Kampf gegen Atomstrom zu: „Österreichs Haltung zur Atomkraft ist völlig klar: Für uns ist das keine nachhaltige Form der Energieproduktion.“ Europaministerin Karoline Edtstadler erklärte: „Ziel muss es sein, die Klimaziele zu erreichen, ohne Atomenergie als ‚grün‘ einzustufen.“ Vorarlberg will als derzeit vorsitzführendes Bundesland in der Landeshauptleutekonferenz eine Initiative für eine gemeinsame Stellungnahme der Länder zum EU-Entwurf starten, sagte Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte erneut einen Austritt Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag und kündigte einen diesbezüglichen Antrag im Nationalrat an.

Der deutsche Justizminister Marco Buschmann will sich dafür einsetzen, dass die EU-Vorschläge noch geändert werden. Wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin sagte, denke man aber nicht wie in Österreich über eine Klage nach. Diese könne sich ohnehin nicht auf den Inhalt der Vorschläge beziehen, sondern nur auf die Frage, ob die EU-Kommission überhaupt befugt sei, einen Vorschlag zur sogenannten Taxonomie vorzulegen. Die deutsche Regierung werde nun über das weitere Vorgehen beraten. Im übrigen herrsche in der Regierung aus SPD, Grünen und FDP Einvernehmen: Man sei sich einig, Erdgas vorerst als Brückentechnologie zu nutzen, den Einsatz von Kernkraft lehne man aber ab. Die Rechtsakte der EU-Kommission wäre gar nicht nötig gewesen, so Hebestreit.

Auch die spanische Regierung lehnt den Kommissionsvorschlag ab. Erdgas und Kernenergie als grüne oder nachhaltige Energien einzustufen „macht keinen Sinn und sendet die falschen Signale für die Energiewende der gesamten EU“, so die zuständige Ministerin Teresa Ribera laut Medienberichten vom Montag. Ob Spanien rechtliche Schritte Österreichs mittragen würde, ging aus den Berichten nicht hervor. Der luxemburgische Energieminister Claude Turmes bemängelte auf Twitter vor allem die kurzfristige Vorgehensweise der EU-Kommission in einer „Nacht- und Nebelaktion“ als „Provokation“. Wie Gewessler sieht auch er „die Gefahr des Greenwashing“. Er sei bereit, gemeinsam mit Deutschland und Österreich den Vorschlag detailliert zu prüfen und weitere Schritte zu erörtern, so Turmes.

Auf Tschechien wird Österreich bei der Abwehr des Entwurfs dagegen nicht zählen können. Ministerpräsident Petr Fiala sprach laut Medienberichten am Montag von einem „Schlüssel zur Energieautarkie“ seines Landes. Laut seiner Umweltministerin Anna Hubackova wird dies Tschechien ermöglichen, schrittweise zu den klimafreundlichen Energiequellen überzugehen.

Auch in Finnland wurde der Kommissionsvorschlag hinsichtlich der Kernkraft positiv aufgenommen. Wirtschaftsminister Mika Lintilä bezeichnete die bevorstehende Entscheidung der EU-Kommission als „erfreulich“. Irritiert zeigte er sich hingegen darüber, dass es offenbar einen Deal zwischen den großen Ländern Frankreich und Deutschland gegeben habe, auch Gaskraft in den Vorschlag hineinzunehmen. In Italien drängt die mitregierende, rechte Lega-Partei nun zu einem neuen Referendum zu einem Wiedereinstieg in die Kernkraft.

Auch Schweden äußerte sich vorsichtig positiv. Energieminister Khashayar Farmanbar sagte am Montag, Schweden habe sich dafür eingesetzt, dass auch die Atomkraft unter die EU-Definition „klimafreundliche Energie“ fallen solle. Es seien aber noch die exakte Formulierung und die Abgrenzungen der EU-Kommission abzuwarten, bevor er eine endgültige Stellungnahme abgeben könne, so Farmanbar laut dem Sender SVT. Bezüglich der ebenfalls vorgesehenen Einstufung von Erdgas als klimafreundlich gab sich der schwedische Energieminister ebenfalls abwartend.

Konkret sieht der Entwurf der EU-Kommission vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue AKW als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neusten technischen Standards entsprechen und wenn ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem ist als eine weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten. Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm sogenannte CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt – gerechnet auf den Lebenszyklus.

Atomenergie emittiert keine Treibhausgase, sie verursacht aber Abfälle, mit denen man nur sehr schwer umgehen kann. Erdgasbetriebene Kombikraftwerke emittieren zwar deutlich weniger Kohlendioxid (CO₂) als Kohlekraftwerke, werden aber dennoch mit einem fossilen Brennstoff betrieben.

APA

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