Der Chef der größten Fraktion im Europaparlament hat sich hinter den Vorschlag der EU-Kommission zur indirekten Förderung moderner Atom- und Gaskraftwerke gestellt. „Jeder, der realistisch auf die Energiebedarfe blickt, weiß, dass es ohne die beiden Brückentechnologien in der EU insgesamt nicht gehen wird“, sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der CSU der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung (Mittwoch).
Die EU habe sich das große Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Nun tue man gut daran zu respektieren, dass jeder seinen Weg gehe, das gemeinsame Ziel zu erreichen.
„Wir Deutschen wollen das ohne Kernkraft und ohne Kohle erreichen. Frankreich möchte den Weg mit Kernkraft gehen. Die Niederlande haben in der Koalitionsvereinbarung vor ein paar Wochen entschieden, zwei neue Atomkraftwerke zu bauen“, fügte Weber hinzu. Seinen Angaben zufolge steht die bürgerlich-christdemokratische EVP-Fraktion den Vorschlägen der Kommission „mehrheitlich grundsätzlich positiv gegenüber“.
Zur EVP-Fraktion gehören unter anderem die Europaabgeordneten der ÖVP. Deren Delegationsleiterin im EU-Parlament, Angelika Winzig, hatte den Entwurf der EU-Kommission als „falsches Signal“ kritisiert. „Die sichere Entsorgung des strahlenden Atommülls ist nicht geklärt. So stelle ich mir den European #GreenDeal nicht vor. Wir werden alles daran setzen und jedes Mittel nutzen, dass der Vorschlag so nicht kommt“, hatte Winzig erklärt.
Die Pläne der EU-Kommission sehen vor, dass Investitionen in neue AKW als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen unter anderem neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands ebenfalls als nachhaltig eingestuft werden können.
Hintergrund der Klassifizierung ist die sogenannte EU-Klimataxonomie, die mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen lenken und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen soll. Es wird damit gerechnet, dass sie weitreichende Auswirkungen hat, da sich als nachhaltig eingestufte Projekte deutlich leichter und günstiger finanzieren lassen dürften.
Umweltschützer und Kernkraftgegner werfen der Kommission vor, mit ihren Einstufungsplänen für Atom- und Gaskraftprojekte ein vollkommen falsches Signal zu setzen. Dass der Vorstoß noch gestoppt werden kann, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Dazu müssten sich nicht weniger als 20 Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung vertreten – oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament.
Der SPÖ-EU-Abgeordnete Günther Sidl bezeichnete Atomkraft am Mittwoch als eine „Technologie der Vergangenheit“. Gleichzeitig kritisierte er in einer Aussendung „Grüne Scheuklappen“ und mahnte einen stärkeren Fokus auf soziale Verträglichkeit und Versorgungssicherheit ein. Sidl, der auch Mitglied im Umweltausschuss des EU-Parlaments ist, erinnerte an den zusätzlichen Energiebedarf durch die E-Mobilität und forderte auch mehr Verständnis für entsprechende Neubauprojekte: „Strom entsteht eben nicht in der Steckdose.“ Für ihn könne der Green Deal nur funktionieren, wenn er breit von der Bevölkerung getragen werde.
Die Salzburger „Plattform gegen Atomgefahren“ (PLAGE) sieht in dem Vorschlag der Kommission einen „tragischen Rückschritt“. Bis zur Fertigstellung nur eines Atomkraftwerkes vergehe ein Jahrzehnt, in dem wertvolles Geld nicht in erneuerbare Optionen investiert werde, betonte PLAGE-Obmann Franz Daschil in einer Mitteilung.
APA/dpa