Hilferuf der Industrie

18. Jänner 2022

RWE-Chef Krebber fordert in der Energiepreiskrise Unterstützung für die Wirtschaft. Schließlich sollen Unternehmen Milliarden in Klimaschutz investieren.

Der Vorstandschef des Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, fordert angesichts der hohen Energiepreise und der ehrgeizigen deutschen Klimapläne einen vergünstigten Strompreis für die Industrie. „Ich glaube, für den Übergang ist das notwendig“, sagte der Manager am Montag auf dem Handelsblatt Energie-Gipfel in Berlin. Solange grüne Produkte aus Deutschland mit nicht grünen internationalen Produkten im Wettbewerb stünden, brauche es eine Förderung der Industrie.

Deutsche Unternehmen leiden seit Wochen unter historisch hohen Kosten für Strom und Gas. Die Preise haben sich in den vergangenen Monaten mehr als verdreifacht. Das setzt vor allem der energieintensiven Industrie schwer zu. „Die Preise dürfen nicht auf diesem hohen Niveau bleiben“, forderte deswegen auch BASF-Vorständin Melanie Maas-Brunner in Berlin. Sonst habe die Industrie keinen Anreiz, in neue Technologien zu investieren, mit denen in den kommenden Jahren das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden soll.


Strom soll auf dem Weg dorthin in vielen Fällen fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas ablösen. Dafür muss die Industrie allerdings Milliarden investieren. Mit den neuen, ambitionierten Klimazielen der Bundesregierung – der Kohleausstieg wird nun bis 2030 angestrebt – dürfte sich dieser Betrag weiter erhöhen, ebenso der Energiepreis. „In Deutschland haben wir eine Verknappung im Stromsektor. Wir legen in einem Umfang gesicherte Leistung still, dass wir gar nicht hinterherkommen können“, so der RWE-Chef. Auch das treibe die Preise hierzulande. Kathrin Witsch, Catiana Krapp

Hilferuf der Industrie
Die Appelle von Energiebranche und Industrie sind vor allem an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gerichtet, der am Dienstag auf dem Energiegipfel reden wird. Bei Habeck klingt die Energiewende bisher vor allem nach einer großen Chance für die Wirtschaft. Aus einer konsequenten Klimaschutzpolitik könne ein Aufschwung für Industrie, Mittelstand und Handwerk erwachsen, sagte der Grünen-Politiker erst vergangene Woche.


Tatsächlich sind dafür aber erst einmal Milliardeninvestitionen vonseiten der Wirtschaft nötig. Und das bei den derzeit rekordverdächtigen Strom- und Gaspreisen. Immer mehr Unternehmen stellen ihre Produktion sogar zeitweise ein, weil es günstiger ist, die Bänder stillstehen zu lassen, als die Strom- und Gasrechnung zu bezahlen. Auch wenn die Preise zuletzt wieder etwas nachgegeben haben, glaubt RWE-Chef Markus Krebber nicht an eine rasche Verbesserung der Situation: „Wir müssen damit rechnen, dass es länger dauert, bis sich die Preise wieder normalisieren.“
Die Preise für Strom und Gas haben in den vergangenen Monaten Rekordwerte erreicht – zum Leidwesen von Verbrauchern und Industrie. So kostete etwa eine Megawattstunde (MWh) Strom im Januar 2019 auf dem Terminmarkt im Schnitt noch 48 Euro. Ende Dezember sprang der Börsenstrompreis dann mit 325 Euro pro MWh auf einen absoluten Rekord. Industrievertreter warnen vor einem dauerhaft hohen Preisniveau für Energie. „Wir müssen aufpassen, dass wir in Europa nicht die Wettbewerbsfähigkeit gefährden“, sagte BASF-Vorständin Maas-Brunner. Dabei müsse man sich auch an dem orientieren, was andere Länder tun, betonte die Managerin mit Blick auf die vergleichsweise hohen Energiepreise in Deutschland. Das Preisniveau in Deutschland ist für viele Branchen seit Jahren ein gravierender Wettbewerbsnachteil.


Immerhin zeichnet sich eine grundlegende Entlastung ab: Die EEG-Umlage, die auch viele Unternehmen bezahlen müssen, fällt zum 1. Januar 2023 ganz weg. Das begrüßt auch der RWE-Chef. Trotzdem warnt er vor den Folgen der aktuell angespannten Lage auf den Energiemärkten: „Ich glaube, dass die geopolitische Lage dazu beiträgt, dass die Unsicherheit an den Märkten höher bleibt.“


Die Ukraine-Krise heizt die Situation zusätzlich an. Am Wochenende war bekannt geworden, dass die US-Regierung Notfallpläne für die Gasversorgung Europas vorbereitet, falls der russische Präsident Wladimir Putin die Lieferungen tatsächlich unterbrechen sollte. Akut sei die Gasversorgung in Deutschland zwar nicht gefährdet, beruhigte Krebber: „Ich habe keine Angst, dass die Gasversorgung flächendeckend zusammenbricht.“ Die Sorge, dass morgen die Heizungen kalt blieben, sei nicht berechtigt


Ein möglicher Lieferstopp von russischem Gas wäre aber eine nie da gewesene Herausforderung für die Europäische Union. Diese bezieht derzeit rund ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland. In Deutschland kommt sogar über die Hälfte des Erdgases aus Russland. „Das Gas aus Russland ist so kurzfristig nicht zu ersetzen, aber Russland braucht auch die Devisen aus dem Verkauf der Rohstoffe“, sagte Krebber. Diese gegenseitige Abhängigkeit habe schon in früheren Zeiten dafür gesorgt, dass miteinander gesprochen werde. Und dieser Dialog sei nötig, um die Situation auf dem Energiemarkt zu entspannen.


Gleichzeitig macht sich die Wirtschaft für einen Industriestrompreis stark, der die Unternehmen beim Strompreis begünstigt. „Wir müssen die richtigen Anreize setzen, damit die Wirtschaft in die teuren Zukunftstechnologien investiert“, sagt Maas-Brunner. Da könnten die Strompreise nicht auf diesem Niveau bleiben.
Ein Industriestrompreis könne für dauerhaft wettbewerbsfähige Stromkosten sorgen. Das schaffe „die notwendige Planungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit für die anstehenden Transformationsinvestitionen in klimaneutrale Industrieprozesse“, sagte Wacker-Chef Christian Hartel erst vor wenigen Tagen im Handelsblatt. BASF-Vorständin Maas-Brunner appellierte, im Blick zu behalten, wie andere Staaten mit den hohen Preisen umgingen, „um international wettbewerbsfähig zu bleiben“.


Sonst, so warnt RWE-Chef Krebber, komme es zu einer „schleichenden Deindustrialisierung“. Es gehe um den Erhalt von Wohlstand und Arbeitsplätzen: „Solange wir die Knappheit haben und grüne Produkte aus Deutschland mit internationalen Produkten konkurrieren, brauchen wir eine Förderung der Industrie.“ Die müsse allerdings zeitlich begrenzt sein.


In der Politik hat die Idee eines festen Industriestrompreises einige Fürsprecher. So hatte sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst vor wenigen Tagen im Interview mit dem Handelsblatt dafür ausgesprochen. Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gehört zu den Befürwortern dieser Lösung. „Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von vier Cent“, hatte Scholz im Juni vergangenen Jahres gesagt. Vier Cent je Kilowattstunde wären für die meisten Industrieunternehmen ein Befreiungsschlag. Derzeit zahlen die meisten ein Vielfaches.
Trotzdem müsse man bei den hohen CO2 – Preisen für fossile Energien bleiben, mahnte RWE-Chef Krebber. Die hohen Preise seien ja ausdrücklich als Anreiz gewünscht, dass in neue Technologien investiert wird. RWE selbst will in den kommenden Jahren 50 Milliarden Euro in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren.
„Wir haben jahrelang Ausstiegsdebatten geführt – jetzt geht es ums Anschalten“, sagte Krebber. Er begrüße deswegen die Beschleunigung der Energiewende über das Sofortprogramm, das Habeck in der vergangenen Woche vorgestellt hatte. Maas-Brunner äußerte sich ähnlich: „Wir müssen auf den Turbo drücken und deutlich schneller werden.“ Wichtig sei aber auch ein gewisser Pragmatismus in der Übergangsphase. „Wir werden nicht über Nacht CO2 – neutral werden, es wird Zwischenschritte geben müssen“, betonte RWE-Chef Krebber. Catiana Krapp, Kathrin Witsch


ZITATE FAKTEN MEINUNGEN
Die Preise dürfen nicht auf diesem hohen Niveau bleiben. Melanie Maas-Brunner BASF-Vorständin Wir haben im Handelsblatt Morning Briefing gefragt: „Welche Frage hätten Sie gerne von Bundesverkehrsminister Volker Wissing beantwortet“ und abstimmen lassen. Hier ist Ihre Frage und die Antwort des Ministers: „Wann kommt das Tempolimit auf Autobahnen?“ „Das ist ein Thema, das die Menschen umtreibt, aber das löst die Probleme im Mobilitätssektor, vor allem im Pkw-Bereich, nicht. Es ist ein ganz kleines Thema, auch wenn es ein emotionales ist. Ich setze mehr auf die Nutzung von modernen Verkehrsleitsystemen, von digitaler Steuerung unserer Verkehrssysteme. Ich glaube, dass wir bei der Infrastrukturnutzung künftig besser werden müssen. Wir müssen nicht nur an den Ausbau der Infrastruktur denken, sondern auch die vorhandene intelligenter nutzen können. Und dann wird sich diese Frage relativieren, weil wir durch eine intelligente, digital gesteuerte Verkehrslenkung besser CO2 einsparen können als durch das aus der analogen Welt kommende Tempolimit.“

Handelsblatt

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