Entlastung für das Stromnetz

24. Jänner 2022

Die geplante E-Auto-Schwemme kann in der Energiewende zum Problem werden – oder zur Lösung. Noch aber fehlen laut Branchenexperten die richtigen Anreize.

Wer sich heute ein Elektroauto kauft, möchte meist die Umstellung auf erneuerbare Energien unterstützen. Schließlich landet im Akku statt fossiler Brennstoffe nur potenziell grüner Strom. Doch E-Autos werden in der Energiewende in den kommenden Jahren noch eine weit größere Rolle spielen.


„Energiewende und Mobilitätswende kann man nur gemeinsam denken“, sagte Elke Temme, Geschäftsfeldleiterin des Bereichs „Laden und Energie“ bei Volkswagen Group Components, auf dem Handelsblatt-Energiegipfel. „Mehr erneuerbare Energien heißt: mehr Volatilität im Netz. Wir brauchen mehr Speicher, und die haben wir durch die Elektroautos.“


Das Problem: Je höher der Anteil erneuerbarer Energien an der deutschen Stromproduktion wird, desto mehr schwankt die Strommenge, die ins Netz eingespeist wird. An sonnigen, windigen Tagen entsteht besonders viel Strom – und an dunklen, windstillen Tagen besonders wenig. Kommt also gerade viel Strom ins Netz, sollte auch viel verbraucht – und der Überschuss für dunklere Zeiten gespeichert werden. Dafür sind Elektroautos essentiell.


Die Zahl der Stromer soll nach den Plänen der Bundesregierung in den kommenden Jahren stark steigen. 2021 wurden in Deutschland nur 360.000 Elektroautos neu zugelassen. Das war zwar mehr als jemals zuvor. Damit aber bis 2030 rund 15 Millionen E-Autos durch Deutschland fahren, wie der Koalitionsvertrag es vorsieht, müssten es jährlich mehr als vier Mal so viele sein.


Die geplante E-Auto-Schwemme ist eine große Chance für die Hersteller. Entsprechend setzt Volkswagen jetzt komplett auf die Stromer. „Die Zukunft des Autos ist elektrisch. Wir sehen keine andere Technologie für den Pkw“, sagte Temme. „Wir wollen bis 2025 mehr als 18.000 Schnellladepunkte aufbauen, um Kunden den Umstieg zu erleichtern.“


Die schnell steigende Zahl an E-Autos und Ladesäulen ist für das deutsche Stromnetz eine große Herausforderung – birgt aber auch viel Potenzial. Die E-Auto-Schwemme kann in der Energiewende zum Problem oder zur Lösung werden. Je nachdem, wie die Netzbetreiber damit umgehen.


Zum Problem werden können die Autos, wenn sehr viele Fahrzeuge gleichzeitig Strom laden wollen. Das kann die Stromnetze lokal überfordern. Markus Hilkenbach, Chef der WSW Wuppertaler Stadtwerke, mahnte ebenfalls auf dem Energiegipfel: „Die Elektromobilität nimmt an ganz spezifischen Punkten zu.“ Deshalb müsse man auch an spezifischen Punkten die Infrastruktur ausbauen. Hilkenbach: „Ich glaube, dass es komplett ohne physischen Ausbau und Netzverstärkung nicht funktionieren wird.“


E-Autos laden, wenn wenig Strom benötigt wird
Wenn es andererseits gelingt, die Stromnachfrage der vielen E-Autos zu kontrollieren, können sie die Netze gar unterstützen. „Das Auto wird künftig Teil des Energiesystems“, sagt Elke Temme. „Es muss dann den Netzbetreibern Flexibilität zur Verfügung stellen.“


Das Ziel ist laut Branchenexperten, dass möglichst viele Elektroautos genau dann anfangen zu laden, wenn gerade viel Strom im Netz verfügbar ist, etwa weil der Wind stark weht oder weil die Menschen gerade wenig Strom für andere Dinge benötigen.


Um den Effekt noch zu verstärken, könnten Autos mit vollem Akku sogar einen Teil ihres Stroms zurück ins Netz speisen. Das nennt man „bidirektionales Laden“, also eben Laden in zwei Richtungen. „Wir sind absolut überzeugt, dass bidirektionales Laden wichtig ist, um die Kosten der Energiewende im Griff zu behalten“, so Temme. Hersteller wie Volkswagen müssen in den E-Autos die notwendige Technik für bidirektionales Laden bereitstellen. Doch auch die Netzbetreiber müssen ihre Systeme digitalisieren. Nur intelligente Systeme können erkennen, wann wie viel Strom verbraucht wird und welche Akkus man gerade anzapfen kann.


Eine Reihe von Akteuren arbeiten bereits an der Umsetzung dieser Idee in großem Maßstab. So etwa die Envision Digital Deutschland, deutsche Tochter des internationalen Konzerns Envision Digital aus Singapur, der wiederum zur chinesischen Envision Group gehört. Die Gruppe produziert Windräder, Batterien und Software überall auf der Welt.
Die deutsche Tochter fokussiert sich auf Softwarelösungen für eine intelligente Ladeinfrastruktur, die die Stromnetze stabilisieren soll. Dafür nutzt Envision Digital ihr zentrales Produkt, die Software EnOS. „Daran sind mittlerweile 150 Millionen Geräte angeschlossen. Mit dieser Plattform können wir Energie auf der ganzen Welt intelligent steuern“, sagt Drazen Nikolic, Geschäftsführer von Envision Digital Deutschland.


Auch das Münchener Start-up GridX, das mehrheitlich Eon gehört, entwickelt digitale Lösungen für die intelligente Stromnetz-Steuerung mit Hilfe von Elektroautos. Der Gründer und CEO von GridX, Andreas Booke, sagte auf dem Handelsblatt-Energiegipfel, technologisch sei eine solche Steuerung heute machbar. „Technologien, die wir heute haben, die sind in der Lage, Flexibilitäten im Millisekundentakt an- oder auszuschalten.“ Problematisch seien die Regularien und Anreize. „Netzbetreiber ziehen Rendite daraus, mehr Kupfer zu verlegen“, so Booke. „Wir sagen: Köpfchen statt Kupfer. Es muss für die Netzbetreiber Anreize geben, intelligente und digitale Systeme zu bauen.“
Dem stimmt auch Hilkenbach zu. „Natürlich ist vermiedener Netzausbau volkswirtschaftlich die bessere Variante“, sagte er. Betriebswirtschaftlich aber lohne sich der Aufbau intelligenter Ladeinfrastruktur noch nicht genug.


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Energiewende und Mobilitätswende kann man nur gemeinsam denken.

Elke Temme Volkswagen


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