Der gekündigte Kunde

28. Jänner 2022

Energiemarkt. Die Strom-und Gaspreise steigen. Kunden mit günstigen Altverträgen werden von den Energieanbietern vor die Tür gesetzt. Was ist passiert? Versagt gerade der Markt?

20 Jahre lang zeigte sich die Liberalisierung des Strommarktes von ihrer Sonnenseite. Viele Energieanbieter umwarben Konsumenten mit attraktiven Angeboten. Wer seinen angestammten Stromlieferanten verlassen hatte und zu einem billigeren wechselte, konnte einiges Geld sparen. Damit ist es zumindest vorläufig vorbei. Die ehemaligen Billiganbieter haben ihren Kunden Kündigungsschreiben geschickt und bieten neue Verträge zu deutlich höheren Preisen. Einige ziehen sich sogar ganz aus dem Markt zurück, ein Lieferant hat Insolvenz angemeldet. Wie konnte es so weit kommen?

Einzigartige Situation
Noch zu Jahresbeginn 2021 war die Angebotspalette am heimischen Strom-und Gasmarkt breit, der Wettbewerb intakt, die Preise waren recht günstig. Im Herbst drehte sich der Wind. Wer jetzt einen neuen Anbieter sucht, muss überrascht feststellen: Am günstigsten ist in vielen Regionen Österreichs der lokale, alteingesessene Versorger. „Das hat es seit Beginn der Liberalisierung noch nie gegeben“, räumt E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch ein. Wozu also eine Liberalisierung? Denn ursprünglich ging es darum, das Monopol der Landesversorger und kommunalen Energielieferanten aufzubrechen und den Verbrauchern zu billigerer Energie zu verhelfen.


Das klappte 20 Jahre lang. Aktuell sind die bisherigen Energiediskonter am Markt fast chancenlos. Sie konnten all die Jahre deswegen günstiger anbieten, weil sie sich kurzfristig mit preisgünstigen Strom-bzw. Gaszukäufen eindeckten -etwa dann, wenn es gerade Angebotsüberschüsse am Markt gab. Die traditionellen Versorger hingegen betreiben nicht nur eigene Kraftwerke, sie haben auch langfristige Strombezugsverträge zu fixen Preisen abgeschlossen. Damit sind sie aktuell im Vorteil. Denn im Laufe des Jahres 2021 passierte etwas, was es seit Beginn der Liberalisierung noch nie gab: Die Gaspreise und in deren Gefolge die Strompreise schossen derart in die Höhe, dass es nicht einmal mehr stunden-oder tageweise billigen Strom am Markt gab.


Was die Preise hochtrieb
Die Teuerungswelle rollte im Frühjahr 2021 zunächst bei Gas an. Die Megawattstunde Erdgas verteuerte sich bis Jahresende auf das Fünffache. Ähnlich steil kletterte der Kohlepreis hoch. Dahinter stecken zwei Gründe: zum einen die Energiewende. Die klimapolitische Notwendigkeit zur Umstellung der Energieversorgung auf ökologische Quellen wie Sonne oder Wind ließ die Kosten für CO2-Zertifikate ansteigen. Jeder industrielle Gas-und Kohleverbraucher muss pro Tonne emittiertes CO2 ein Zertifikat vorweisen. Ein solches kostete Ende 2021 rund zehnmal so viel wie im Jahr davor. Diese Kosten werden auf den Gasund Kohlepreis draufgeschlagen -was die Energiepreise an den Börsen anheizt.


Der zweite Grund liegt im steigenden Gasverbrauch: Der lange Winter 2020/21 in Europa hat dazu geführt, dass die großen Gasspeicher geleert wurden. Als die Energieversorger im späten Frühjahr begannen, Gas zuzukaufen und einzulagern, traf dies mit einer erhöhten Gasnachfrage aus Asien zusammen. Dort hatte China vorübergehend Kohlekraftwerke abgedreht und mehr Strom mit Gaskraftwerken erzeugt. Schiffsladungen mit Flüssiggas aus Russland und auch Europa wurden nach Asien umgeleitet, weil man dort noch höhere Preise zahlte. In Europa wurde Gas knapp, die Preise schossen hoch. Und weil europaweit viel Strom aus Gaskraftwerken stammt, zog auch der Strompreis mit nach oben.

Staatliche Eingriffe
Die Preisexplosion hat europaweit Aufregung bei der Politik ausgelöst. Die Wiedereinführung einer staatlichen Strompreisregulierung wird ebenso debattiert wie öffentliche Zuschüsse zur Energierechnung für sozial Bedürftige oder eine Deckelung der Energiepreise. In Österreich gab es bis Ende der 1990er-Jahre einen staatlich geregelten Strompreis. Eine von den Sozialpartnern besetzte Preiskommission bestimmte den Endkunden-Strompreis auf Basis der Kosten-Meldungen der Energieversorger. Billig war Strom deswegen aber nicht, denn die Energieunternehmen hatten keinen Anreiz, ihre Kosten zu reduzieren. Eine Preisobergrenze für Strom hatte etwa Spanien. Die Energieversorger durften ihre Verluste dem Staat in Rechnung stellen, was in die Milliarden ging. Ein wenig effizientes System.
Auf EU-Ebene werden aber aktuell auch Steuererleichterungen diskutiert. Immerhin machen Steuern und Abgaben im europäischen Durchschnitt 41 Prozent der Stromrechnung aus. Brüssel begrüßt Maßnahmen zur zeitlich begrenzten Aussetzung von Steuern und Abgaben. Spanien hat dies umgesetzt.


E-Control-Vorstand Urbantschitsch rechnet damit, dass sich das Hochpreisniveau auch 2022 hält -zumindest zu Beginn, denn die Energielieferanten hätten bisher nur einen kleineren Teil des Großhandelspreisanstiegs an die Kunden weitergegeben. Aber es findet sich auch eine gute Nachricht: Die heimischen Haushalte werden 2022 keine Ökostromkosten zu bezahlen haben – im Durchschnitt immerhin 110 Euro. Dieser „Teuerungsausgleich“ gefährde den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht, hieß es im Dezember seitens der Bundespolitik.

LINK-TIPP
Umfassende Information zu Kündigungen und Preisänderungen am Energiemarkt lesen Sie online auf verbraucherrecht.at/Info-Energie markt. Der Bericht beinhaltet konkrete Handlungsempfehlungen und Musterbriefe für spezielle Situationen.


Wie der Strompreis entsteht
Der Strompreis setzt sich aus drei großen Blöcken zusammen: dem Preis für die erzeugte Kilowattstunde (Energiepreis), dem Preis für die Durchleitung durchs Stromnetz (Netznutzungsentgelt) sowie Steuern und Abgaben. Von diesen drei Blöcken wird nur der Energiepreis am Markt durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Nur diesen Preis können die Kunden durch den Wechsel zu einem billigeren Stromlieferanten beeinflussen. Ausgangspunkt der Preisbildung sind die europäischen Strombörsen. Für Österreich relevant sind die EEX in Leipzig und die EXAA in Wien. Zu den Preisen, die an den Börsen festgestellt werden, kaufen und verkaufen Energiegroßhändler und -versorger die elektrische Energie. Der Börsenpreis ist also der Großhandelspreis. Der Preis, den die Endkunden verrechnet bekommen, orientiert sich an diesem Großhandelspreis. Der Endkundenpreis ist aber um einiges höher, weil er noch die Kosten (Personal, Miete, Betriebskosten etc.) und Gewinnaufschläge der Händler und Versorger enthält.

Angebot und Nachfrage.
An den Strombörsen geht es um Angebot und Nachfrage, und das zu jedem Zeitpunkt des Tages. Das Angebot besteht aus Wind-, Sonnen-und Atomstrom sowie elektrischer Energie erzeugt aus Wasserkraft, Kohle und Gas. Die Nachfrage kommt von den Energiehändlern und Stromversorgern in ganz Mitteleuropa. Und so wird der Preis an den Börsen gebildet: Zunächst wird der billigste Strom zur Deckung der Nachfrage abgerufen. Dieser kommt von Windkraftanlagen, Solarparks und Wasserkraft. Deren Brennstoffkosten – Wind, Sonne, Wasser -sind nämlich gleich null, und nur diese Kosten sind für die Preisbildung an den Börsen ausschlaggebend. Dann kommen Atomstrom und elektrische Energie aus Gaskraftwerken an die Reihe. Ihre Brennstoffkosten sind schon höher. Und wenn das alles nicht zur Deckung der Nachfrage reicht, kommt Kohlestrom dazu. Damit erhöht sich der Preis für die an der Börse angebotene Kilowattstunde nochmals. Bei Kohle und Gas sind nämlich noch die Kosten für CO2 einzurechnen. In Mitteleuropa wird an vielen Stunden des Tages auch Gas-und Kohlestrom benötigt. Elektrische Energie aus diesen Kraftwerken ist daher preisbestimmend und damit auch der Grund für die massive Teuerung, die derzeit im Gange ist.

Konsument

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