EU-Taxonomie: Keine Umwälzung bei grünen Investitionen

9. Feber 2022, Wien
Grünes Gas wird Anlageverhalten nicht ändern - Stuttgart, APA/dpa

Die umstrittene Verordnung zur EU-Taxonomie stößt auch unter Experten und Vertretern von Finanzdienstleistern auf wenig positive Resonanz. Eine große Umwälzung zeichne sich am österreichischen Kapitalmarkt dadurch aber nicht ab, war man sich am Mittwoch bei einer Veranstaltung des Finanzjournalistenforums (FJF) einig. Für viele Anlegerinnen und Anleger bzw. Investmentfonds bleibe Atomenergie auch in Zukunft ein klares Ausschlusskriterium, so der einhellige Tenor in der Runde.

Im Bereich der nachhaltigen Fonds werde das grüne Label für Atomenergie zu keiner großen Veränderung führen, sagte Josef Obergantschnig, Unternehmensberater und Gründer von Obergantschnig Financial Strategies. Die Ablehnung von Atomkraft sei in Österreich in der Investorenwelt stark verankert, eine Abkehr von der bisherigen Linie würde für nachhaltige Fonds daher einen „Glaubwürdigkeitsverlust“ bedeuten. Insbesondere institutionelle Investoren würden ihr Anlageverhalten nicht grob anpassen, so Obergantschnig, hätten diese doch „die Nachhaltigkeitswelle einst erst zum Rollen“ gebracht.

Ähnlich sieht das Wolfgang Pinner, Leiter des Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) Österreich. „Der Trend zu nachhaltigen Geldanlagen ist längst in der breiten Öffentlichkeit angekommen“, so Pinner. Darüber hinaus sei auch in Zukunft weiter niemand dazu gezwungen, in Atomkraft oder ähnliche fossile Anlagen zu investieren, sagte er. Eine gewichtige Rolle misst Pinner in diesem Zusammenhang einer Novelle der EU-Wertpapierrichtlinie MiFID-II ein, die im Herbst in Kraft treten soll. Dadurch müssen Bankberater ihre Kunden künftig aktiv fragen, ob sie sich mit Blick auf Anlageprodukte wie Fonds oder Lebensversicherungen für Nachhaltigkeit interessieren oder nicht.

Eine gewisse tolerierbare Umsatzgrenze für Anlagen in Atomkraft solle es aber auch in Zukunft geben, räumte Obergantschnig ein. In Österreich belaufe sich die Toleranzschwelle derzeit auf 5 Prozent, was laut Obergantschnig auch durchaus Sinn ergibt. Setze man den Umsatzanteil für Atomenergie bei Unternehmen nämlich auf 0 Prozent fest, fielen viele Anlagen durch das Raster, deren Beitrag an der Produktion fossiler Energie bzw. nicht-nachhaltiger Energiequellen nur sehr gering sei.

Zur Veranschaulichung zog er analog dazu das Beispiel Glücksspiel heran: Lege man sich hier auf ein 0-Prozent-Kriterium fest, so dürfe man neben den großen Glücksspielbetrieben konsequenterweise auch nicht in Hotelketten investieren, die eigene Glücksspielautomaten betreiben und damit einen geringen Anteil ihres Gesamtumsatzes erwirtschaften, erklärte er. Man müsse hier also „die Kirche im Dorf lassen“, zumal viele nachhaltige Fonds bei Atomkraft ohnehin einen wesentlich niedrigeren Wert anstrebten.

Dieser Umstand spiegelt sich auch in aktuellen Zahlen wider: Bei aktiv gemanagten, nachhaltigen Investmentfonds liege der Anteil von Anlagen in Atomenergie bei durchschnittlich 0,29 Prozent der Fondsmasse, bei passiven Fonds (wie beispielsweise ETFs) seien es im Schnitt 0,44 Prozent, rechnete ESG Plus-Geschäftsführer Armand Colard vor. Im Gegensatz dazu seien es bei aktiven, fossilen Fonds 2,6 Prozent, bei passiven Fonds 4,2 Prozent. Aktive Fonds würden also mit Blick auf das Thema Nachhaltigkeit ohnehin bereits sehr bewusst geführt, an eine Wende durch die EU-Taxonomie glaubt auch er nicht.

Mit Auswirkungen auf diverse Nachhaltigkeitssiegel bzw. Nachhaltigkeitszertifikate wird ebenso nicht gerechnet. Gewissheit gebe es dahingehend zwar keine, die Ablehnung der Atomenergie sei bei Labels wie dem Österreichischen Umweltzeichen oder dem FNG-Siegel aber traditionell stark, argumentierte der VKI-Umweltexperte Raphael Fink.

Mit der Verordnung der EU-Kommission zur „EU-Taxonomie“ sollen Investitionen in Atomkraft und Erdgas in der Europäischen Union unter bestimmten Auflagen künftig als klimafreundlich bzw. nachhaltig gelten. Das Gesetz hat in vielen Ländern Europas einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, unter anderem in Österreich. Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) kündigte vor kurzem an, dagegen eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einreichen zu wollen.

APA

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