Michael Strugl, Chef des Stromkonzerns Verbund, rechnet mit gigantischer Nachfrage nach Grünstrom.
Der amtierende Präsident des Branchenverbands Oesterreichs Energie, Verbund-Generaldirektor Michael Strugl, erklärt, warum der Ausbau von Wind- und Sonnenkraft langfristig die Preise senken könnte, aber europäisch synchron erfolgen muss.
Hat die Verbund AG schon die Strompreise erhöht? Michael Strugl: Nein, noch nicht, wir prüfen das gerade, aber ganz ohne werden wir nicht auskommen.Keine Besserung in Sicht? Wir müssen noch länger mit hohen Strompreisen rechnen. Es wurde erwartet, dass es nach der Heizperiode zu einer gewissen Entspannung kommt, das sieht aber nicht mehr so aus. Die Börsenpreise sinken, je weiter die Lieferungen nach hinten wandern. Aktuell sind es 150 Euro je Megawattstunde für Strom mit Lieferung 2023, 110 Euro für 2024 und 100 Euro 2025. Langfristig bleiben die Preise also hoch, aber nicht auf diesem Spitzenniveau. 100 Euro je Megawattstunde wären aber doppelt so viel wie in den vergangenen Jahren. In den 20 Jahren seit der Liberalisierung hatten wir eine Tendenz zu günstigeren Preisen. Im Vorjahr sind sie massiv rauf gegangen. Dazwischen gab es zwei Einbrüche, in der Finanzkrise und in der Pandemie. Nach der Finanzkrise war der Anstieg moderat, trotz Wirtschaftswachstums, jetzt ist er stärker. Warum? Es wird eine gigantische Grünstromnachfrage in Europa geben aufgrund der Klimapolitik. Wir werden mehr brauchen, als wir erzeugen können. Strom hat eine wichtige Rolle in der Energiewende, weil er für Raumwärme, Mobilität und die Dekarbonisierung der Industrie ebenfalls benötigt wird und für die Erzeugung von Wasserstoff. Dafür braucht es gigantische Mengen Grünstrom. Was entgegenwirkt, ist, dass in ganz Europa versucht wird, massiv und möglichst schnell Wind und Sonnenstrom auszubauen. Es sind heute schon die günstigsten Formen der Erzeugung und die Antwort auf die Frage, wie man längerfristig für günstigere Strompreise sorgen kann. Aber es braucht auch Netze und Speicher, weil die Erzeugung dezentral und schwankend ist. Und alles muss synchron passieren, sonst gibt es Verwerfungen. Daher gehen wir alle davon aus: Grüner Strom wird ein knappes Gut sein und das wird die Preise hochhalten.
Das ist gut für Stromkonzerne, aber was heißt das für die Energiewende? Auch ein Stromkonzern wünscht sich ein koordiniertes, systemadäquates Vorgehen. Die Transformation zu erneuerbaren Energien ist eine Operation am offenen Herzen. Wir müssen den Umbau schaffen, ohne die Versorgungssicherheit und die Stabilität der Systeme zu gefährden, und können nicht ein Schild raushängen „Wegen Umbau geschlossen“. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Wenn die Preise so steigen wie jetzt, trifft es die Wirtschaft und die Haushalte und fordert die Regierungen. Die EU hat bereits Instrumente vorgestellt, die von Steuerentlastung bis zu Zuschüssen reichen. Die Regierung hat jetzt einen Energiebonus beschlossen. Ist das die richtige Maßnahme? Jedenfalls hat sie Entlastungen beschlossen. Ob es reicht, wird man sehen. Die Industrie fordert ja weitere Schritte. Die Versorger haben im Vorfeld freiwillig Maßnahmen gesetzt, verzichten weiter auf Abschaltungen und zahlen mehr in die Fonds für energiearme Haushalte ein. Auch wir stocken unseren Beitrag zum Verbund-Stromhilfefonds der Caritas deutlich auf.
Zurück zur Energiewende. Das Erneuerbaren-Gesetz ist durch. Gehen sich 100 Prozent Ökostrom bis 2030 noch aus? Es ist gut, dass es beschlossen ist. Jetzt brauchen wir noch 20 Verordnungen, damit Ausschreibungen stattfinden und die Projekte umgesetzt werden können. Wir haben natürlich Zeit verloren. Ob man das noch aufholen kann, hängt davon ab, ob die Genehmigungen schnell genug gehen, ebenso wie der Ausbau der Netze. Wenn es so geht wie in der Vergangenheit, werden wir das Ziel 100 Prozent Ökostrom bis 2030 bilanziell nicht schaffen.Was ist dann? Egal? Ich würde nicht „egal“ sagen. Die erneuerbare Welt geht nicht unter, wenn wir 100 Prozent erst 2032 schaffen. Wichtig ist, dass wir aus den Startblöcken kommen und beschleunigen. Ich sehe auch eine gewisse Ambivalenz der Bevölkerung bei der Akzeptanz der Energiewende. Das ist nicht eine Aufgabe der Politik allein.
Bisher deutet wenig darauf hin, dass es besser wird. Es muss gelingen, die Bürger mitzunehmen und den Einzelnen an Projekten teilhaben lassen.
Eine Möglichkeit sind Energiegemeinschaften. Sie erzeugen Strom und handeln damit. Wenn jeder sein Brot selbst bäckt, ist das nicht schlecht für den Bäcker? Das ist ausnahmsweise eine Situation, in der eins und eins nicht zwei, sondern drei ergibt. Wir sehen das nicht als Konkurrenz, denn wir werden kein Problem haben, unseren Strom zu verkaufen. Die größere Herausforderung ist, die neuen Gemeinschaften ins System zu integrieren. Ich habe den Eindruck, auch bei der Politik, das wird unterschätzt. Man muss es sorgfältig machen, damit es funktioniert. Aber ich bin zuversichtlich, das klappt.
Atomkraft bekommt in der EU nun ein Umwelt-Pickerl. Theoretisch könnte auch die Verbund AG investieren. Das war nie eine Option, nicht für Verbund und nicht für Österreich. Atomkraft ist bei uns definitiv nicht auf der Tech-Roadmap. Wir diversifizieren in Richtung Wind und Photovoltaik. Wir erleben derzeit eine von der Politik gesteuerte Debatte. Länder wie Frankreich, die von Atomkraft abhängen, wollen, dass sie als nachhaltig klassifiziert wird. Man kann das unterschiedlich bewerten. Unbestritten ist, dass Kernkraft in der Erzeugung CO2-frei ist, also zum Klimaschutz beiträgt. Aber aus unserer Sicht ist sie nicht nachhaltig.
Werden die Klimaziele ohne Atomkraft erreicht werden? Atomkraft ist eine Technologie, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche zur Verfügung steht. Damit wird argumentiert, genauso wie bei Gas, das als Brückentechnologie dienen soll. Alle diese Argumente haben ihre Richtigkeit. Aber die Energiewende ist ein europäisches Projekt, und auch das Stromsystem. Wenn wir Versorgungssicherheit schaffen wollen, hängt das von den jeweiligen Kapazitäten in den EU-Ländern ab. Österreich hat ein gewisses Privileg, denn mit Wasserkraft lässt sich eine gewisse Grundlast darstellen. Daher argumentieren wir aus einer komfortableren Position.
Salzburger Nachrichten