Ein perfekter Sturm am Ölmarkt

15. Feber 2022, Wien

Energie. Der globale Ölmarkt leidet bereits seit Monaten unter einer das Angebot übersteigenden Nachfrage. Nun kommt der Konflikt in der Ukraine als Belastung hinzu.

Vier Dollar. So viel trennte den Ölpreis am Wochenende von der psychologischen Grenze von 100 Dollar je Fass (je 159 Liter). Auch wenn sich der Preisanstieg am Montag etwas beruhigte, ist es laut Branchenexperten nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Schwelle neuerlich überschritten wird. Und schon jetzt erreichte der Ölpreis ein Niveau, das man seit Jahren nicht mehr gekannt hat. So war Öl das letzte Mal im Herbst 2014 so teuer wie derzeit.
Grund für die aktuelle Preis-Hausse ist die zunehmend brenzliger werdende Situation in der Ukraine. An den Ölmärkten geht die Angst um, dass eine militärische Eskalation zwischen Russland und der Ukraine und die folgenden westlichen Sanktionen gegenüber Moskau zu einem teilweisen Stopp russischer Ölexporte führen könnten. Und das wäre für den globalen Ölmarkt ein harter Schlag. Immerhin exportiert der drittgrößte Ölproduzent der Welt pro Tag rund fünf Millionen Fass pro Tag — etwa zwölf Prozent der weltweit gehandelten Menge.

2020 gab es noch negativen Preis

Die Auswirkungen der politischen Spannungen im Osten Europas fallen auch deshalb so stark aus, weil die Situation am Ölmarkt bereits angespannt ist. So sorgte die Corona-Pandemie in ihrem ersten Jahr für einen drastischen Rückgang der Energienachfrage. Die weltweiten Lager waren zum Bersten voll, weshalb es im April 2020 es daher sogar zu einem negativen Ölpreis von bis zu 40 Dollar kam — wer Öl abnahm, erhielt dafür also auch noch Geld dazu. Grund dafür ist, dass viele Ölförderanlagen nicht so schnell rauf- oder runtergefahren werden können.

Doch diese Situation kehrte sich im zweiten Coronajahr 2021 um. Die plötzliche Erholung der Weltwirtschaft führte zu einer rasant ansteigenden Nachfrage nach Energie. Und mit dieser konnte nun das Angebot nicht mehr mithalten. Die Folge war ein rasanter Preisanstieg — so erhöhte sich der Ölpreis seit dem Februar 2021 bis heute um etwa 50 Prozent.
Das Ölkartell Opec erklärte bereits im vergangenen Herbst, darauf reagieren zu wollen und die Produktion monatlich um 400.000 Fass zu erhöhen. Bislang ist das jedoch nicht geschehen. Und laut Analysten gibt es nun zunehmend die Sorge, dass die Ölproduzenten gar nicht die Kapazitäten haben, die Förderung kurzfristig zu steigern. Zudem soll angesichts der Omikron-Variante, die weltweit zu einer Entspannung bei der Corona-Situation und damit mehr wirtschaftlicher Aktivität führt, heuer die globale Nachfrage auch um bis zu vier Millionen Fass ansteigen.

Normalerweise würde der gestiegene Ölpreis nun dazu führen, dass auch teurere Produktionsmethoden — etwa Fracking — wieder attraktiver werden. Die USA sind durch diese sogenannten unkonventionellen Ölquellen in der letzten Dekade wieder zum größten Ölproduzenten der Welt geworden. Aber auch aus dieser Ecke wird derzeit keine große Entlastung erwartet. Ein Grund dafür ist, dass auch die Fracking-Anlagen eine gewisse Vorlaufzeit brauchen und angesichts der zuvor niedrigen Preise die Bohrtätigkeit runtergefahren worden ist. Außerdem haben sich viele Fracking-Unternehmen gegenüber ihren Aktionären verpflichtet, ihr Wachstum zu begrenzen und konstant Dividenden auszuzahlen, weshalb die Fähigkeit für kurzfristige Produktionssteigerungen begrenzt ist.

Spillover-Effekt vom Gasmarkt

Angesichts der angespannten Situation ist es daher nicht sehr wahrscheinlich, dass der Westen die russischen Ölexporte direkt mit Sanktionen belegt. Allerdings könnten auch indirekte Sanktionen — etwa gegenüber Finanzinstituten — zu geringeren Investitionen und damit weniger Ölförderung beitragen. Zudem gibt es die Gefahr von „Spillover“-Effekten aus dem Gassektor.

Denn noch wichtiger als bei Öl sind Russlands Exporte von Gas. Hier steht das Land sogar für ein Viertel des global gehandelten Volumens. Und ein großer Teil davon fließt durch Pipelines Richtung Westeuropa, die durch die Ukraine führen. Hier ist eine komplette Unterbrechung im Fall von Kampfhandlungen also durchaus vorstellbar. Und das könnte zu Lieferengpässen bei Gas führen, die etwa manche Kraftwerke (bei denen das technisch möglich ist) dazu zwingen könnte, auf Öl umzusteigen. Für den Ölpreis wäre dies ein weiterer Treiber.

von Jakob Zirm

Die Presse

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