Forderungen der Ukraine nach sofortigen Sanktionen gegen Russland entzweien die EU. Bei einem Außenministertreffen am Montag in Brüssel zeigten sich baltische Staaten wie Litauen aufgeschlossen für ein entschiedeneres Vorgehen. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und andere lehnten dies ab: „Sanktionen sind eine Reaktion, wie eine Art Bestrafung, das kann und sollte man nicht im Vorfeld machen“, sagte Schallenberg.
Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis sagte in Brüssel, es gebe bereits einen russischen Angriff auf die Ukraine und man müsse deswegen eine Diskussion darüber starten, wie man reagiere. So wäre es seinen Worten zufolge zum Beispiel denkbar, diejenigen in Russland zu sanktionieren, die für Falschinformationen zum Ukraine-Konflikt verantwortlich sind.
Der irische Außenminister Simon Coveney sprach sich dafür aus, das Hauptaugenmerk auf diplomatische Initiativen wie die für den USA-Russland-Gipfel zu legen. Gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und anderen sollte sich die Europäische Union darauf konzentrieren, sie zu einem Erfolg zu machen, erklärte er. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte zu der Sanktionsdebatte: „Ich werde im richtigen Moment ein Sondertreffen der Außenminister einberufen.“ Wenn der Moment komme, werde man bereit sein. Derzeit arbeite man aber noch daran, dass er nicht komme. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich in Brüssel zunächst nicht öffentlich zur Sanktionsdebatte.
Der als Gast zum EU-Außenministertreffen gereiste ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bekräftigte die Forderungen seines Landes nach sofortigen Strafmaßnahmen. Man erwarte nicht nur politische Botschaften, sondern konkrete Maßnahmen, sagte er. „Wir sind der Auffassung, dass es gute und legitime Gründe gibt, zumindest einige Sanktionen zu verhängen.“ Damit könne demonstriert werden, dass die EU nicht nur über Sanktionen spreche, sondern auch handle.
Die Außenminister der EU-Staaten bewilligten finanzielle Nothilfe für die Ukraine in Milliardenhöhe. Sie beschlossen, dem von Russland bedrohten Land einen weiteren Kredit in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu gewähren. Er soll in zwei Tranchen ausgezahlt werden. Nach Angaben der EU-Kommission haben die EU und ihre Finanzinstitutionen der Ukraine seit 2014 bereits mehr als 17 Milliarden Euro in Krediten und Zuschüssen zur Verfügung gestellt.
Mit Besorgnis werden vor allem die zunehmenden Waffenstillstandsverletzungen in der Ostukraine gesehen. Es wird befürchtet, dass Kremlchef Wladimir Putin die dortigen Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen als einen Vorwand für einen Einmarsch in das Nachbarland nutzen könnte.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstrich unterdessen ebenfalls die Drohung des Westens, dass Russland im Fall eines Angriffs auf die Ukraine „massive Konsequenzen“ zu erwarten hat. Zum angedachten Sanktionspaket sagte sie am Sonntag in einem Interview der ARD-Sendung „Anne Will“: „Die Finanzsanktionen bedeuten für den Kreml, dass wenn sie militärische Aggressionen gegen die Ukraine fahren, Russland im Prinzip abgeschnitten wird von den internationalen Finanzmärkten.“ Und die Wirtschaftssanktionen beträfen auch „alle die Güter, die Russland dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und zu diversifizieren, die aber von uns hergestellt werden, wo wir globale Dominanz haben und die Russland nicht ersetzen kann“. Russland habe eine klare Schwachstelle, das sei seine Wirtschaft, „die im Prinzip fast ausschließlich ausgerichtet ist auf die alten fossilen Brennstoffe, Energieträger, nämlich Öl, Kohle und Gas“.
Von der Leyen sprach sich zugleich dagegen aus, die Sanktionen bereits jetzt zu verhängen, wie von der Ukraine angesichts der jüngsten Eskalation gefordert. Vor dem Hintergrund der Russland-Ukraine-Krise äußerte sie aber auch Zweifel an der Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte von der Leyen: „Es wird für ihn nicht einfach sein, auch seiner Bevölkerung zu erklären, warum er die Ukraine angreift und warum er sehenden Auges diese massiven Konsequenzen für Russland in Kauf nimmt.“
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) telefonierte am Montag mit von der Leyen, dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid zur Ukraine-Krise. „Die Situation ist brandgefährlich“, erklärte Nehammer. „Die jüngsten Entwicklungen, insbesondere die massive Zunahme an Waffenstillstandsverletzungen entlang der Kontaktlinie und die nun entgegen anderslautender vorheriger Zusicherungen Moskaus fortgesetzte Militärübung in Belarus geben Anlass zu großer Sorge.“
Die US-Regierung hat Insidern zufolge ein erstes Sanktionspaket gegen Russland schon vorbereitet, das auf den Bankensektor abzielt. Vorgesehen sei unter anderem, US-Finanzinstituten die Abwicklung von Transaktionen für große russische Banken zu verbieten, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters von drei mit der Angelegenheit vertrauten Personen. Ziel der Maßnahmen sei es, der russischen Wirtschaft zu schaden. Die Sanktionen sollen den Angaben zufolge nur im Falle einer russischen Invasion der Ukraine umgesetzt werden.
Die Europäische Union und die Ukraine haben sich nach ukrainischen Angaben auf einen beratenden Militäreinsatz in dem Land verständigt. „Wir haben uns mit der EU im Grundsatz darauf geeinigt, dass die EU Beratungstrainings in der Ukraine abhalten wird“, sagt der ukrainische Außenminister Kuleba in Brüssel vor der Presse. „Das sind keine Kampftruppen“, unterstrich er nach einem Treffen mit den EU-Außenministern.
APA/dpa/Reuters