Europa beugt neuem Ölschock vor

3. März 2022

Es ist ein Entscheid mit Seltenheitswert: Die westliche Energieagentur in Paris mobilisiert erstmals seit langem wieder Ölreserven, um die Preise zu stabilisieren.

Erst dreimal überhaupt hat die westliche Staatengemeinschaft bisher ihre strategischen Öllager freigegeben: 1991 geschah dies im Zweiten Golfkrieg, 2005 nach den verheerenden Wirbelstürmen Rita und Katrina sowie 2011 beim Nato-Einsatz gegen Libyen.

Jetzt kommt der Krieg in der Ukraine dazu. Die Energieminister der westlichen Industriestaaten versammelten sich am Dienstag am Pariser Sitz der Internationalen Energieagentur (IEA), um die Ölreserven der Mitgliedsstaaten zu mobilisieren. Da die IEA der ebenfalls in Paris ansässigen Wirtschaftsgemeinschaft OECD angeschlossen ist, sind die USA, Europa, aber auch Länder wie Japan oder die Türkei betroffen. Sie hatten sich nach dem ersten Ölschock von 1974 auf Betreiben der USA verpflichtet, für Notfälle strategische Ölreserven anzulegen. Sie müssen 90 Tagen an Nettoimporten entsprechen. Das sind insgesamt mehrere Millionen Tonnen Rohöl und Derivatprodukte.
Treibende Kraft sind auch jetzt die USA. IEA-Vorsteher Fatih Birol twitterte, das Pariser Treffen stehe unter Leitung der amerikanischen Energieministerin Jennifer Granholm. Wenn der amerikanische Präsident Joe Biden zuerst gezögert hatte, Russland vom Finanztransaktionssystem Swift auszuschließen, dann aus der Sorge, dass dieser Schritt die Ölexporte noch stärker verteuern könnte.

Stark steigende Preise

Jetzt scheint die US-Administration aber entschlossen, die Konsequenzen zu tragen. Durch die pandemiebedingten Engpässe in der weltweiten Energieversorgung sind die Ölpreise in letzter Zeit schon auf über 100 Dollar pro Barrel gestiegen. Das ist der höchste Preis seit 2014.

Die IEA warnt seit Jahren vor Angebotskrisen und Versorgungsengpässen. Sie drängt mit Nachdruck darauf, die Versorgungssicherheit und die Energieeffizienz zu erhöhen, um Rekordpreise zu verhindern. Fatih Birol erklärt immer wieder, es sei nicht auszuschließen, dass die Preise im Zuge der Ukraine-Krise einen nie gekannten Wert von 200 Dollar pro Barrel erreichen könnten. Russland kommt für ungefähr zehn Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion auf.
Insgesamt sollen 60 Millionen Barrel freigegeben werden, wie der japanische Industrieminister Koichi Hagiuda am Dienstag mitteilte. Die USA allein wollen davon 30 Million Barrel stemmen. Das könnte den Ausfall russischer Öllieferungen fürs Erste weitgehend kompensieren.

Doch die Reserven sind begrenzt. Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto rasanter werden die Preise steigen – und dies schon vor dem Verbrauch der 90-tägigen Reserven. Die effektiven Lagerstände im Westen liegen zwar laut IEA dreimal höher als die Notreserve; und direkt betroffene Länder wie Ungarn, die Slowakei oder Tschechien, die russische Energie über Pipelines durch die Ukraine beziehen, haben laut IEA noch besser vorgesorgt. Aber auch diese Reserven halten nicht ewig. Das erklärt das entschlossene Vorgehen der Biden-Administration und der Europäer: Sie wollen vor allem einen langwierigen Konflikt in der Ukraine vermeiden.

Der Standard

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