Ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas wäre aus Sicht von Wissenschaftern für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar. „Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle. Es bestünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die negativen Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.
Als Sofortmaßnahme wird etwa die Beschaffung von Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt durch die EU empfohlen. Zu einem Ersatz von Erdgas könne auch eine stärkere Kohleverstromung beitragen. Gasspeicher müssten aufgefüllt werden. Belastungen der Bürgerinnen und Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen bei höheren Energiepreisen sollten sozial abgefedert, Unternehmen von Energiesteuern entlastet werden.
Mittelfristige Maßnahmen sind laut Papier zum Beispiel die Beschaffung einer „robusten Reserve“ an Energieträgern und der Ausbau von LNG-Anlande-Kapazitäten – die Bundesregierung hatte vor kurzen bekanntgegeben, sich über die staatliche Förderbank KfW an einem geplanten LNG-Terminal im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel zu beteiligen. Bisher gibt es kein solches Terminal in Deutschland.
Zu langfristigen Maßnahmen heißt es in der Leopoldina-Stellungnahme, die Transformation zur Klimaneutralität sollte beschleunigt werden – vor allem durch Ausbau der erneuerbaren Energien, dem Infrastrukturausbau insbesondere für den Umschlag von Wasserstoff sowie von Wasserstoffimporten.
Weiter hieß es, die deutsche Regierung habe bereits erste weitreichende Entscheidungen auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel den Zukauf von Gas für 1,5 Milliarden Euro oder eine geplante Regelung zum Befüllen der Gasspeicher. Wichtig in der aktuellen Situation sei es auch, den geplanten Kohleausstieg 2030 nicht in Frage zu stellen. Er helfe dabei, von russischen Kohleimporten, die 50 Prozent der deutschen Kohleimporte ausmachen, unabhängig zu werden.
Zu den Autoren der Stellungnahme zählen die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm, Christoph M. Schmidt vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, sowie Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
APA/dpa-AFX