Was passiert, wenn Russland kein Gas mehr liefert?

5. April 2022

Warum die Speicher nur gering befüllt sind, wer zuerst versorgt wird und ob Österreich gut vorbereitet ist.

Härtere Sanktionen gegen Russland fordern Frankreich und Großbritannien. Zuletzt wurden diese Rufe nach den Berichten über mutmaßliche Gräueltaten der russischen Invasionstruppen im ukrainischen Butscha immer lauter. Die Sanktionen sollen dieses Mal auch russische Energieimporte wie Öl und Gas treffen. Umgekehrt droht auch Russland mit einem Lieferstopp von Gas. Welche Konsequenzen hätte das für Österreich. Die „Wiener Zeitung“ hat bei der Regulierungsbehörde E-Control nachgefragt:

Wie viel Gas wird gerade in Österreich verbraucht?

Derzeit liegt der Endkundenverbrauch zwischen 250 und 350 Gigawattstunden (GWh) pro Tag, dieser Wert ist aber sehr temperaturabhängig.

Wie hoch ist der Anteil Russlands am in Österreich verbrauchten Gas?

Aus Russland kommen zirka 80 Prozent des Gases, das in Österreich verbraucht wird. Im Vergleich dazu liegt der Anteil innerhalb der Europäischen Union (EU) bei rund 40 Prozent.

Wie viel Gas liefert Russland derzeit?

Die Transportflüsse von russischem Erdgas in die EU und nach Österreich sind sowohl über die Ukraine als auch über andere Transportwege weiterhin uneingeschränkt. Der russische Staatskonzern Gazprom Export erfüllt also aktuell alle vertraglichen Lieferverpflichtungen.

Wie gut ist Österreich darauf vorbereitet, falls Russland kein Gas mehr liefert?

Formal, das heißt also, wenn der Energielenkungsfall in Kraft treten muss, dann ist Österreich gut vorbereitet. Wenn damit gemeint ist, ob Österreich generell auf Gas aus Russland verzichten kann, dann muss man das leider verneinen.

Wie hoch ist der Gasstand in den heimischen Speichern?

Der Speicherinhalt für gesamt Österreich beträgt derzeit nur 12,95 Terawattstunden (TWh), nach 12,52 TWh am 1. April 2022. Der Speicherinhalt für das Marktgebiet Ost (ohne Gasspeicher Haidach) beträgt 11,12 TWh, nach 11,11 TWh am 1. April 2022.

Warum sind die Speicher nur so gering befüllt?

Grund für die schon voriges Jahr sehr geringe Einspeichertätigkeit war eine Preisstruktur, die es unrentabel machte, Vorräte anzulegen. Vor allem fehlte eine attraktive Differenz zwischen Sommer- und Winterpreisen.

Wie lange kommt Österreich mit seinen Speichermengen aus?

Das kann nicht pauschal beantwortet werden, da dies auch stark vom Verbrauch abhängt. Sobald es wärmer wird, sinkt etwa der Gasverbrauch der Haushalte drastisch ab und auch Gas für die Stromversorgung wird dann weniger benötigt.

Der Nationalrat rief die Frühwarnstufe aus: Was bedeutet das?

Die Frühwarnstufe bedeutet, dass die Versorgungssituation noch genauer beobachtet wird, als dies bereits seit Beginn des Krieges der Fall ist. Diverse Aktivitäten, die etwa in Deutschland erst mit dem Ausrufen der Frühwarnstufe in Kraft getreten sind, wie die Aktivierung von Krisenteams, engmaschigeres Monitoring oder laufende Abstimmung aller Beteiligten, sind in Österreich seit Beginn des Ukraine-Kriegs bereits in Kraft und werden täglich gelebt. Das Ausrufen der Frühwarnstufe bedeutet noch keinerlei Einschränkungen für Gasverbraucher, aber die Verbraucher sollen für das Thema sensibilisiert werden.

Ab welcher Stufe gibt es Energielenkungs- maßnahmen?

Das passiert ab der dritten Stufe des Notfallplans, der Notfallstufe. In diesem Fall müssen das Parlament befasst und die zugehörige Verordnung vom Klimaschutzministerium erlassen werden.

Wer wird im Falle eines Engpasses bevorzugt: private Haushalte oder die Industrie?

Private Haushalte fallen unter die geschützten Kunden und werden jedenfalls weiter mit Gas versorgt.
Österreich kann auf russisches Gas nicht verzichten.

Folgen des Rückzugs von deutscher Gazprom-Tochter
Kein Gefahr für Österreich, weil vom Salzburger Gasspeicher Haidach aus nur deutsche Kunden von Gazprom-Töchtern bedient werden.

Für die österreichische Gasversorgung sind durch die Trennung des russischen Staatskonzerns Gazprom von seiner deutschen Tochter Gazprom Germania mit ihren Gasspeichern in Deutschland und Österreich keine negativen Auswirkungen zu erwarten. Grund: Die Mengen aus dem Salzburger Gasspeicher Haidach sind einzig und allein für den deutschen Markt bestimmt.

Die Vermarktung des Erdgases aus dem Speicher Haidach für deutsche Kunden erfolgt vertragsgemäß schon bisher zu 100 Prozent durch die deutschen Gazprom-Ableger GSA und Astora. Mit 2,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas ist Haidach der zweitgrößte Speicher Mitteleuropas, technischer Betreiber ist die österreichische RAG, die den Speicher auch geplant und errichtet hat.

Mitteleuropas größter Speicher

Attraktiv ist Haidach durch die besonders hohe Leistung: Die Einspeicherleistung beträgt 1,1 Millionen Kubikmeter pro Stunde, umgerechnet 11,9 Gigawatt (GW), die Ausspeicherleistung 1,2 Millionen Kubikmeter pro Stunde oder 13,1 GW. Die oberirdischen Anlagen in Haidach gehören zu je einem Drittel der österreichischen RAG, der russischen Gazprom export und der deutschen Gazprom-Tochter Wingas, die unterirdischen Teile der Republik Österreich.
Die RAG selbst ist mit einer betriebenen Speicherkapazität von über 6 Milliarden Kubikmeter – gut 70 Prozent des heimischen Jahresverbrauchs – der viertgrößte Speicherbetreiber Europas.

Mittlerweile hat die RAG rund die Hälfte ihrer in der 80-jährigen Firmengeschichte gefundenen Erdgaslagerstätten in Speicher umgewandelt. Neben Gazprom wird auch mit Uniper kooperiert. Der größte Gasspeicher des heimischen Öl-, Gas- und Chemiekonzerns OMV ist Schönkirchen in Niederösterreich mit 20,7 TWh, samt Tallesbrunn sind es über 25 TWh (mehr als 2,2 Milliarden Kubikmeter).

Rätselraten bei Gas-Fachleuten

Zur Ankündigung von Gazprom, sich von seiner deutschen Tochter Germania zu trennen, herrschte auch am Montag bei Gasfachleuten Rätselraten. Bei der RAG erklärte man, es gebe weiterhin kein offizielles Statement seitens Gazprom, daher könne man sich dazu nicht äußern. Experten gehen davon aus, dass die Verträge weiter in Kraft sind. Im Energieministerium in Wien hatte es am Freitagnachmittag geheißen, man kenne die Ankündigung zu Gazprom Germania nur aus den Medien und prüfe gemeinsam mit E-Control und dem Marktgebietsmanager Austrian Gas Grid Management (AGGM) die Entwicklung.

Die AGGM erklärte in ihrem täglichen Lagebericht von Montagfrüh: „Die Gasflüsse in Richtung aller österreichischen Marktgebiete, auch die Importe über die Ukraine, laufen aktuell unterbrechungsfrei.“ / (apa)

von Bernd Vasari

Wiener Zeitung

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