Vom Schutzdach zum Nutzdach

12. April 2022

Nachhaltigkeit. Dachflächen, vor allem von Gewerbebauten, bergen ein riesiges Potenzial zur Gewinnung von Sonnenstrom. Das dämmert langsam Eigentümern wie Gesetzgeber.

Wer sich heuer eine Fotovoltaik-Anlage bestellt, braucht Geduld. In vielen Fällen wird es bis zum Jahresende dauern, bis die Module am Dach montiert sind und Elektrizität liefern. Den Grund kennt Vera Immitzer, Geschäftsführerin von PV Austria: „Die Nachfrage ist enorm gestiegen. Es gibt großes Interesse nicht nur von Privaten, sondern vor allem auch von der Wirtschaft.“ Der Boom hat mehrere Ursachen: Im Vorjahr belebte die Corona-Prämie die Investitionslust, heuer waren die steigenden Strompreise, ein höheres Klimabewusstsein und letztlich der Ukraine-Krieg mit seinen Auswirkungen auf die Energieversorgung zusätzliche Booster.

Gesetzlich vorgeschrieben

Vor allem für Unternehmen kommt ein weiterer Punkt dazu: Die Bauordnungen von Wien, Niederösterreich und der Steiermark schreiben bei Neubauten die Ausstattung mit Solaranlagen bereits gesetzlich vor. „Diese Regelungen beschleunigen zweifellos den Ausbau“, meint Thomas Schilhansl, Leiter der Fotovoltaik-Projektentwicklung bei Wien Energie.

Ähnlich sieht das Ralph Woidich, Vertriebsleiter für Fotovoltaik bei Rudolf Hörmann, einem auf Gewerbebauten und Fotovoltaik spezialisierten Unternehmen, mit Verweis auf die Situation in Deutschland. Dort gibt es in mehreren Bundesländern Solarverpflichtungen für Gewerbebauten: „Das stellt eine weitere Motivation dar.“ In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg existiert darüber hinaus eine weitere Regelung: Parkflächen mit mehr als 35 Stellplätzen müssen mit PV-Kollektoren überdacht werden. Das bringe neben eigenem Strom einen zusätzlichen Mehrwert für die Unternehmen — Schutz für die Fahrzeuge und damit höhere Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit — und spreche deshalb viele an, berichtet Woidich.

Eine solche Regelung fehle in Österreich leider noch, moniert Immitzer. Wobei richtig geplante Paneele auf dem Dach heute grundsätzlich eine wirtschaftlich sinnvolle Investition seien, betont Sonja Starnberger, Geschäftsführerin des Energieinstitutes der Wirtschaftskammer: „Besonders vorteilhaft ist meist, wenn ein Großteil des gewonnenen Stroms selbst verbraucht wird.“ Große Kühlhallen, Supermärkte, die tagsüber klimatisiert und belüftet werden, ebenso aber Produktionsbetriebe mit größerem Stromverbrauch, seien ideale Kandidaten für PV-Anlagen, meint sie.

Rentabilität und Ausstattung

Einige Zehntausend Kilowattstunden Eigenverbrauch tagsüber nennt auch Schilhansl als ideale Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit einer Solaranlage. Die Energieversorger haben genaue Verbrauchsdaten ihrer Kunden und können auf dieser Basis relativ präzise die Amortisationszeit einer Anlage ermitteln. Es dauert allerdings — abhängig von Eigenverbrauch und Installationskosten — selbst bei den derzeit hohen Strompreisen einige Jahre, bis sich die Anlage rechnet. „Aber jedes Kilowatt an installierter Leistung reduziert sofort den Strombezug und spart CO2“, betont Schilhansl.

Voraussetzung für die Installation von Solarmodulen auf dem Dach sei eine Tragfähigkeit von 20 Kilogramm pro Quadratmeter, erläutert er. Die Art des Daches schlägt sich dann bei den Kosten nieder: „Mit entsprechenden Unterkonstruktionen lassen sich auf fast jedem tragfähigen Dach PV-Module installieren, aber manche Lösungen sind deutlich kostenintensiver“, sagt Schilhansl. Die „Stromernte“ kann sich durchaus sehen lassen: Mit 100 Quadratmetern an PV-Modulen können pro Jahr ungefähr 20.000 KWh Strom gewonnen werden. Nicht nur Dächer, auch Fassaden lassen sich mit Paneelen ausstatten. Wirtschaftlich sinnvoll sei das, so die Experten, allerdings nur im Zuge eines Neubaus oder einer Renovierung.

Neue Förderregelungen

Strom aus Sonnenenergie steht in riesigen Mengen zur Verfügung. Die Stadt Wien schätzt das theoretische Fotovoltaik-Potenzial in der Bundeshauptstadt auf etwa 7500 Gigawattstunden pro Jahr. In dieser Rechnung sind allerdings weder bauliche und statische Eigenschaften noch rechtliche Bestimmung wie der Denkmalschutz berücksichtigt. „Realistisch sind zwischen zehn bis maximal 30 Prozent der Dachflächen“, schätzt Schilhansl. Wien Energie selbst hat sich bis 2030 ein Ziel von 600 Megawatt installierter PV-Leistung gesetzt. Das entspricht umgerechnet immerhin dem Jahresstromverbrauch von rund 300.000 Wiener Haushalten.
Für die Stromgewinnungsanlage winken je nach Bundesland Förderungen von bis zu 20 Prozent der Neuinvestition. Am Mittwoch wurden zudem die neuen Förderregelungen auf Basis des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes präsentiert, die auch der Fotovoltaik maßgeblich zugutekommen.

Um eine solche Anlage zu finanzieren, gibt es allerdings auch andere Möglichkeiten. Energieversorger ebenso wie private Unternehmen errichten PV-Anlagen und vermieten oder verpachten sie dann an die jeweiligen Immobilienbesitzer. Eine andere Lösung ist Crowdfunding. Auf collective-energy.at etwa suchen Weinbaubetriebe oder Käsereien nach Finanziers für ihre PV-Anlage. Auf ein Bürgerbeteiligungsmodell setzt hingegen der Mineralwasserlieferant Vöslauer: Wer um 375 Euro ein Paneel der neuen Solaranlage des Werkes erwirbt, erhält zehn Jahre lang einen Energie-Partner-Bonus von 41,75 Euro.

Die Presse

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