Ein Gasembargo ist nicht möglich

27. April 2022

Der Koalitionspartner will ihr die Energie-Agenden wegnehmen. In Sachen Lobau droht ihr eine Ministeranklage. Energie- und Klimaministerin Leonore Gewessler arbeitet indessen an einem Ausstiegsplan aus russischem Gas.

Der grüne Energiesprecher, Lukas Hammer, sagt: „Wir können schlicht nicht auf russisches Gas verzichten.“ Die EU-Energiekommissarin, Kadri Simson, sagt, ein Energieboykott sei „eine große Herausforderung, aber machbar“. Ist es nun unmöglich oder machbar?

Leonore Gewessler: Österreich ist zu achtzig Prozent von russischem Gas abhängig. So schmerzlich es auch ist, so ist für uns — wie auch für einige andere Länder — ein Gasembargo momentan nicht möglich. Das Wesentliche bei einer Sanktion ist, dass wir sie länger durchhalten als Wladimir Putin, und beim Gas sind wir dazu nicht in der Lage. So ehrlich muss man sein.

Sie müssen sich trotzdem auf das Unmögliche vorbereiten. Wir wissen auch nicht, was Putin plant. Große Unternehmen, die eine Energielenkung stark betreffen würde, beschweren sich puncto Planung, dass man sie im Unklaren lässt, wer wann Gas bekommen würde. Warum informiert man die nicht?

Ich hatte laufend Gespräche, auch in den vergangenen Tagen — mit Unternehmen wie mit Sozialpartnern. Wir überwachen die Situation sehr genau und haben auch erstmals als Staat eine strategische Gasreserve beschlossen. Wir bereiten uns auf alle Szenarien vor — auf eine kurzfristige Lieferunterbrechung, auf Schwankungen in den Liefermengen bis hin zu einer dauerhaften Unterbrechung. Und ja, das kann so weit gehen, dass Großverbraucher zeitweise die Produktion einstellen müssen, damit Haushalte und geschützte Kunden wie etwa Spitäler versorgt sind.
Aber auch Netzbetreiber, die Gaskraftwerke zur Ausbalancierung der Stromerzeugung brauchen, klagen, dass Sie Ihnen nicht sagen, ob diese im Ernstfall Gas bekommen werden.

Gaskraftwerke, die man für die Stromerzeugung braucht, gehören im Fall einer Energielenkung zum systemrelevanten Bereich. Leider ist die Situation aber sehr komplex. Die Reaktion ist abhängig vom Szenario. Die Einschätzung dazu ist aber nicht nur eine energiepolitische, sondern auch eine sicherheitspolitische und außenpolitische Entscheidung.
Trotzdem: Der nächste Winter kommt — was ist also der kurzfristige Plan B?

Wir arbeiten an einem Ausstiegsplan für das russische Erdgas. Der Plan hat drei Säulen: Eine betrifft andere Lieferländer — schon jetzt bekommen wir Gas aus Norwegen. Diese Route müssen wir verstärken. Wir können auch LNG (Anm.: Flüssiggas) aus den Niederlanden, Italien und künftig von deutschen Terminals beziehen. Es gibt im Rahmen der EU dazu eine gemeinsame Beschaffung.

Wird LNG tatsächlich schon kommenden Winter eine relevante Erleichterung bringen? Experten bezweifeln das.
Einen kompletten Lieferausfall kann man nicht eins zu eins von heute auf morgen ersetzen. Aber norwegisches Gas und LNG aus Italien könnten eine Rolle spielen. Der Plan hat ja noch zwei weitere Säulen: Wir müssen unseren Gasverbrauch reduzieren — jede Gastherme, die früher getauscht wird, hilft. Und wir können selbst Gas produzieren. Wir haben Potenzial für Wasserstoff und Biogas.

Machen wir es konkret: Wie viel Prozent des russischen Gases könnte man im Winter mit Gas aus Norwegen oder Italien ersetzen?

Wir arbeiten gerade am Ausstiegsplan. Ich werde ihn aber erst präsentieren, wenn wir genau wissen, was möglich und machbar ist.

Wenn man kurzfristig nicht raus aus russischem Gas kann — bis wann schafft man es dann?
Die Europäische Kommission hat einen Zeitplan bis 2027 vorgegeben. Ich bin so ehrlich zu sagen: Das ist eine sehr große Aufgabe, für die man gemeinsam an allen Schrauben drehen muss.
Werden die Landesenergieversorger angehalten, trotz hoher Preise Gas für den Herbst einzuspeichern?
Wir sind im engen Austausch mit den Landesenergieversorgern, um das passende Umfeld zu schaffen, dass das passiert. Im vergangenen Jahr wurde wegen zu hoher Preise zu wenig Gas eingespeichert. Das darf sich nicht wiederholen. Deshalb wird es auch auf europäischer Ebene eine Speicherverpflichtung geben, die national umgesetzt werden muss.

Was heißt „das passende Umfeld schaffen“?

Da geht es zum Beispiel darum, wer das Risiko für die Speicherkosten trägt.
Oft handelt sich dabei um dieselben Versorger, die als Stromerzeuger aktuell sehr gut an den hohen Energiepreisen verdienen. Was soll mit diesem Geld passieren?

Derzeit bestimmt sich der Strompreis nach dem letzten Kraftwerk, das nötig ist, um Strom zu erzeugen. Das ist sehr oft ein Gaskraftwerk, und fossiles Gas ist sehr teuer. Viele Energieversorger sind im Eigentum der Bundesländer, und da gibt es bereits jetzt eine Möglichkeit, eine Sonderdividende auszuzahlen, die genutzt werden kann, um soziale Auswirkungen der hohen Energiepreise abzufedern.

Spanien, Frankreich, Italien überlegen, eine Preisobergrenze für Gas einzuziehen. Was halten Sie davon?
Ganz generell: Mit so einer Maßnahme subventioniert man den fossilen Gaspreis und nicht gezielte Hilfe für die, die es wirklich brauchen.

Wann kommt eigentlich die UVP-Novelle, die für den Ausbau der erneuerbaren Energie notwendig wäre? Unternehmer wie Windkraftbetreiber glauben ja nicht mehr, dass wir das Ziel, bis 2030 Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen zu nutzen, noch schaffen.

Wir arbeiten intensiv an der Novelle. Aber dass wir in vielen Bundesländern noch kein Windrad haben, liegt nicht an der UVP-Novelle, sondern daran, dass wir Flächenwidmungen brauchen. Da sind Länder und Gemeinden gefragt. Windrad ja, aber nicht bei mir — das geht sich nicht mehr aus.

An 2030 halten Sie fest?

Ja. Die zentrale Lehre aus der jetzigen Situation ist: Wenn wir den Gasverbrauch reduzieren wollen, müssen wir auch den Gasverbrauch in der Stromerzeugung reduzieren. Deutschland hat sein eigenes Ziel zuletzt sogar nachgeschärft.
Der deutsche Energie- und Wirtschaftsminister, Robert Habeck, ebenfalls ein Grüner, hat die Deutschen explizit zum Energiesparen aufgerufen — Stichwort: Frieren für den Frieden. Sie tun das nicht. Warum?

Zu Beginn der Krise habe ich vor allem kommuniziert, dass wir alles tun, damit im Winter die Wohnungen warm bleiben. Insofern war die Situation bei uns am Anfang eine etwas andere. Aber es ist klar: Wenn wir russisches Gas loswerden wollen, braucht es einen Schulterschluss, und da kann jeder Einzelne einen Beitrag leisten, also: Wenn es geht, die Öl- und Gasheizungen tauschen lassen. Auch zwei Grad weniger Raumtemperatur machen einen großen Unterschied.

Ein großer Hebel zum Sparen wäre das Energieeffizienzgesetz. Woran liegt es, dass es immer noch nicht da ist?
Wir haben schon länger intensiv verhandelt, und ich bin überzeugt, dass jetzt auch jene, die den Fuß auf der Bremse gehabt haben, ihn von der Bremse nehmen.

Ich nehme an, damit ist der Koalitionspartner gemeint. Die ÖVP drängt darauf, dass Sie in der Krise die Energie-Agenden abgeben, zum Beispiel an die Wirtschaftsministerin. Ihr Ministerium sei zu groß und eine Fehlkonstruktion, sagt der ÖVP-Klimasprecher. Jetzt frage ich uncharmant: Sind Sie überfordert?

Ich kümmere mich persönlich um diese Krise. Aber mir ist schon klar, dass ich mir mit großen Projekten und meiner klaren Ausrichtung nicht nur Freunde und Freundinnen gemacht habe.

Kritik gab es zuletzt auch vom Verfassungsjuristen Heinz Mayer, der den Baustopp von Lobau-Tunnel und S1 als „klar rechtswidrig“ einstuft. Was tun Sie, wenn es mit Zustimmung der ÖVP zu einer Ministeranklage kommt?
Als Infrastrukturministerin ist es meine Aufgabe, Infrastruktur vernünftig zu planen. Wir haben auf Basis einer umfassenden Evaluierung entschieden — und ja, da sind Klimaschutzfragen eingeflossen. Mir ist auch bewusst, dass das weitreichende Entscheidungen sind und Rechtsmittel angekündigt wurden. Aber das wurde gut geprüft. Ich habe gewusst, was ich tue.

Zwei Fragen — nicht an die Ministerin, sondern an die Grüne: Werden Sie als Stellvertreterin von Parteichef Werner Kogler kandidieren? Aus der Partei hört man: Das ist fix. Von Ihnen hört man nichts Definitives dazu.
Bei den Grünen entscheiden das der Bundeskongress und der erweiterte Bundesvorstand. Nächsten Sonntag wählen wir den Bundessprecher Werner Kogler, dann wird der Vorstand gewählt. Erst wenn der sich konstituiert hat, kann der erweiterte Bundesvorstand zusammentreten, und der wählt dann alle anderen Funktionen. Und ich werde dem Gremium sicher nicht vorgreifen.

Aber Sie werden doch wissen, ob Sie Stellvertreterin werden wollen. Es wird ja keiner dazu gezwungen.
Es gilt die oben beschriebene Reihenfolge. Erst braucht es einen Bundesvorstand, in dem ich vertreten sein werde, dann ist der erweiterte Bundesvorstand am Wort.

Manche sehen Sie schon als nächste Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl. Können Sie sich das auch vorstellen, oder schließen Sie das aus?

Wir haben mit Werner Kogler einen wunderbaren Bundessprecher, und wir haben gemeinsam noch viel vor.

Die Presse am Sonntag

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