Die Weichen für eine CO2-freie Industrie werden in diesem Jahrzehnt gestellt. Die Schlüsselrollen für Sektoren, die schwer umzustellen sind, spielen Biomethan und grüner Wasserstoff, wie Experten der österreichischen Energieagentur am Donnerstag im Gespräch mit Journalisten erklärten. „Der Hochlauf startet jetzt“ sagte Andreas Indinger. In Österreich könnte die erste Terawattstunde (TWh) Wasserstoff 2027 im Einsatz sein, bei Biomethan könnten es dann bereits 6 TWh sein.
In den nächsten Jahren werde man die ersten großen Anlagen sehen. Wichtig sei parallel der Ausbau von Windrädern und Photovoltaik-Anlagen, da bei zu wenig grünem Strom kein grüner Wasserstoff erzeugt werden könne. Es seien viele Rädchen, die für die Energiewende ineinander greifen müssten, so Indinger. Die derzeit größte Elektrolyse-Pilotanlage mit 6 Megawatt (MW) steht in Linz bei der voestalpine. Ein guter Elektrolyseur könne aus 50 kWh Strom ein Kilogramm Wasserstoff erzeugen.
Ohne Importe werde Österreich seinen Bedarf an grünem Wasserstoff aber ohnehin nicht decken können, als Binnenland ohne eigenem Hafen habe Österreich hier einen Nachteil und sei von Deutschland und Italien abhängig, skizzierte Günter Pauritsch. Auch entstünden neue Importabhängigkeiten gegenüber Ländern, die grünen Wasserstoff aus Sonne und Wind im großen Stil erzeugen können.
Seit dem Ukraine-Krieg und den Marktturbulenzen gibt es aus Sicht der Experten nicht mehr nur die Klimakrise als Grund, von Erdgas wegzukommen. „Nun sind es drei Gründe“, so Pauritsch. Aufgrund des extrem teuren Erdgases werde die wirtschaftliche Betrachtung von Wasserstoff derzeit ohnehin neu bewertet, was eine Beschleunigung des Ausbaus zur Folge haben dürfte. Weltweit gebe es bereits 5.000 Kilometer an Wasserstoff-Pipelines und Teile der Erdgas-Infrastruktur ließen sich umrüsten.
Wie die Experten ausführten, gibt es Industriesektoren wie die Kunststoff- oder die Düngemittel-Produktion, die ohne grünen Wasserstoff oder Biomethan nicht funktionierten. Diese hätten keine andere Möglichkeit als erneuerbare Gase einzusetzen. 2.000 Grad Celsius könnten nicht anders erzeugt werden. Gleichzeitig werde es der Vergangenheit angehören, Gas mit 2.000 Grad zu verbrennen, um einen Wohnraum auf 20 Grad zu erwärmen. Im Bereich der Raumwärme gebe es ebenso wie bei Niedertemperaturprozessen in der Industrie sowie beim Pkw-Verkehr bessere und günstigere Alternativen als Wasserstoff. Außerdem sei Wasserstoff bei der Speicherung und dem Transport eine Herausforderung, ein Kilogramm seien bei normalem Luftdruck 12.000 Liter, weshalb großer Druck von 350 oder 700 bar und Spezialtanks nötig seien.
Neben der Stahl- und Chemieindustrie werde auch die Schifffahrt und Luftfahrt auf Wasserstoff oder wasserstoffbasierte Treibstoffe angewiesen sein. Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich wird im Bereich der Stromspeicherung erwartet. Derzeit gebe es im Sommer einen Überschuss an erneuerbarem Strom und im Winter zu wenig. Würde Strom im Sommer durch Elektrolyse in Wasserstoff und weiter in Methan umgewandelt, könnte dieses Gas als saisonaler Stromspeicher dienen, mit dem im Winter in bestehenden Gaskraftwerken Strom und Wärme erzeugt werden könnten. Für eine Terawattstunde im Winter brauche man dazu im Sommer 3 TWh Strom, rechnete Pauritsch vor. Es sei das Wesen von Wasserstoff, dass man deutlich mehr Energie brauche, als man nachher rausbekommt. In Österreich müssen ungefähr 11 TWh Strom vom Sommer in den Winter verlagert werden, damit Österreich tatsächlich auf 100 Prozent Ökostrom kommt und nicht nur „bilanziell“ übers Jahr gerechnet.
Wasserstoff ist für die Industrie übrigens nichts Neues und wird bereits heute erzeugt, allerdings aus Erdgas. Pro Tonne Wasserstoff werden dabei zwölf Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gepumpt. Man spricht hier von „grauem“ Wasserstoff. Wird CO2 abgeschieden, spricht man von „blauem“ oder „türkisem“ Wasserstoff. Seitens der EU gibt es Vorgaben, dass künftig pro Tonne Wasserstoff nur drei Tonnen CO2 emittiert werden dürfen.
APA