Grüner Wasserstoff made in Austria

19. Mai 2022

Österreichs Produktion von grünem Wasserstoff läuft an. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig. Wir zeigen Pionierprojekte von Tirol bis Wien, die für die Dekarbonisierung entscheidend sein können.

Der niedere Pavillon mit begrüntem Flachdach am Bachrand des Naturdenkmals Völser Gießen sieht so unspektakulär aus wie ein modernes Einfamilienhaus -doch in seinem Inneren pocht ein mehr als potentes Herz: Hier, am eigenen Betriebsgelände in Völs bei Innsbruck, nahm der Tiroler Lebensmittelhändler Mpreis im März die Produktion von grünem und damit klimaneutralem (siehe Seite 72, Kasten „H 2-Farbenlehre“) Wasserstoff auf -und zählt damit zu den H 2-Vorreitern Österreichs. Im Erdgeschoß des schlichten Betonbaus werkt nun die größte Single-Stack-Elektrolyseanlage Europas (Investitionsvolumen: 13 Millionen Euro, zur Hälfte Fördermittel). Baubeginn für das Mpreis-Elektrolyse-Gebäude war im August 2020, „bereits ein Jahr später zerlegten wir erstmals Wasser“, freut sich Wolfgang Madl, Leiter Energie bei Mpreis. Herzstück ist der rund sieben Meter lange, drei Meter hohe Elektrolyseur. Er besteht aus einem Einzelstapel, an dem eine Vielzahl an Elektrolysezellen (mit Membran, Anode und Kathode) dicht aneinander liegen, und kann bis zu 55 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde liefern (das Gas Wasserstoff wird in Kilogramm gemessen).

Für die bauliche Umsetzung nutzte Mpreis heimische Expertise: Das auf komplexe Industrie-und Infrastrukturprojekte spezialisierte Innsbrucker Ingenieurbüro ILF Consulting Engineers leistete gemeinsam mit Mpreis Pionierarbeit. Ewald Perwög, Projektinitiator und Leiter von Mpreis Sustainable Energy Solutions: „Es gibt keine ‚Blaupause‘, wie Wasserstoff im Umfeld eines Lebensmittelhändlers erzeugt und nachhaltig genutzt werden kann. Gemeinsam tasteten wir uns an die Lösungen heran.“

Neuartig ist die vielfältige Implementierung des grünen Wasserstoffs in der Mpreis-Betriebskette von der eigenen H 2-Produktion über die Nutzung in Bäckerei und Fuhrpark bis zur Distribution über die eigene Wasserstoff-Tankstelle. Ziel ist, den hochwertigen Energieträger im Rahmen der sektorenübergreifenden Tiroler Wasserstoff -Initiative HyWest anderen Anwendern bereitzustellen. Gemeinsam mit Tiwag, Tigas und den Zillertaler Verkehrsbetrieben legt Mpreis den Grundstein für eine grüne Wasserstoff-Wirtschaft in Tirol.

Ein Blick in die Elektrolyseanlage

Die Elektrolyseanlage in Völs läuft zu 100 Prozent mit Ökostrom (überwiegend Tiroler Wasserkraft), hängt am 25-Kilovolt-Netz der Tiwag und hat einen Wirkungsgrad von 60 bis 65 Prozent. Der Rest ist Abwärme, die innerbetrieblich in der Bäckerei und Metzgerei genutzt wird.

Ein Kilogramm Wasserstoff entspricht ungefähr 55 Kilowattstunden Strom. „Mangels konkreter Abnehmer gibt es noch keinen Marktpreis für grünen Wasserstoff“, erklärt Madl. „Natürlich wird dieser vom Strompreis abhängig sein, der 70 Prozent der Gestehungskosten ausmacht. Demnach lassen wir den Elektrolyseur möglichst bei Stromüberschuss laufen.“ Anfänglich – bevor es Wasserstoff-Abnehmer gibt – trägt die Anlage zum Ausgleich von Schwankungen im österreichischen Stromnetz bei. Der Elektrolyseur liefert zu 99,7 Prozent reinen Wasserstoff. Madl: „Das ist noch nicht gut genug, für kontrollierte Abläufe und die Betankung von Brennstoffzellen-Lkw brauchen wir einen Reinheitsgrad von 99,99 Prozent.“ Letzte Verunreinigungen werden katalytisch entfernt, weitere Nebenanlagen dienen u. a. der Aufbereitung des Grundwassers (enthärten, entsalzen, hygienisieren). Zwei Gas-Separatoren trennen schlussendlich Wasserstoff und Sauerstoff, über eine unspektakuläre Rohrleitung fließt Ersterer in die drei Tanks der Tiroler Firma APL. Jeder Tank hat ein Fassungsvolumen von je 95 Kubikmetern, alle drei gemeinsam speichern bis zu 550 Kilogramm nutzbaren Wasserstoff.

Der jüngste Schritt zur Dekarbonisierung der Mpreis-Flotte erfolgte knapp nach Ostern: Linde Hydrogen Fueltec aus Wien lieferte die Tankstelle. Mpreis probte mit Lkw-Dummy-Tanksystemen die Betankung mit komprimiertem, auf minus 20 Grad abgekühltem Wasserstoffgas. „Eine Wasserstoff-Tankstelle sieht zwar nicht wesentlich anders als eine herkömmliche aus, die Vorgänge sind allerdings hochkomplex verkettet, um allerhöchste Sicherheit für die Brennstoffzellen-Schwerfahrzeuge zu gewähren.“ Für den Lkw-Fahrer hingegen gestaltet sich der H 2-Tankvorgang höchst einfach. In rund zehn Minuten füllen 40 Kilogramm grüner Wasserstoff den Tank – das reicht für gut 450 Kilometer. Vor wenigen Tagen wurden die drei ersten Brennstoffzellen-Lkw von Hyzon Motors aus den Niederlanden geliefert, erste Testfahrten fanden bereits statt. Die grün-visionäre Flottenumstellung bei Mpreis hat Fahrt aufgenommen.

Höchste Wasserstoff-Tankstelle für Schneemobile

Auch in anderen Bundesländern wird intensiv an Wasserstoff-Projekten gearbeitet: Das HyCentA (Hydrogen Center Austria) an der TU Graz ist die größte Forschungseinrichtung für Wasserstoff-Technologien in Österreich und Pionier für die Herstellung von grünem H 2 in industriellem Maßstab. „Ein Forschungsschwerpunkt gilt der Verbesserung und Effizienzsteigerung von Elektrolysetechnologien und der Photolyse“, erklärt Alexander Trattner, HyCentA-CEO und Forschungsdirektor. „Rentabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Hydrogen-Technologien sind die größte Herausforderung.“

HyCentA steckt auch hinter der höchstgelegenen Wasserstoff-Tankstelle des Landes. Im Skigebiet Hinterstoder-Wurzeralm koppelte man ein Elektrolysemodul mit einer Photovoltaikanlage. Auf 1.400 Meter Seehöhe tanken zwei Schneemobil-Prototypen.

Voestalpine, OMV, Wien Energie: Wer groß in Wasserstoff investiert

Die Sektoren Industrie und Mobilität verursachen mehr als zwei Drittel der Treibhausgasemissionen Österreichs. Grüner Wasserstoff gilt als besonders wichtige Zukunftsoption. Die Voestalpine nahm am Werksgelände in Linz Ende 2019 die „H2Future“-Pilotanlage eines Proton-Exchange-Membran-Elektrolyseurs (PEM) mit sechs Megawatt Anschlussleistung in Betrieb. Zur Anwendung kommt Wasserstoff bei der Stahlerzeugung und in anderen Industriesektoren. Gemeinsam mit anderen Partnern forscht die Voestalpine am Projekt Underground Sun Storage 2030 für eine unterirdische Speicherung großer Mengen H 2

Auch die Halbleiterproduktion benötigt hochreinen Wasserstoff als Prozessgas, mit der wachsenden Nachfrage an Mikroelektroniklösungen steigt der Bedarf daran. Der expandierende Technologiespezialist Infineon Austria in Villach bezog H 2 bisher per Lkw aus Deutschland, realisiert nun aber mit erneuerbaren Energien einen PEM-Elektrolyseur (gemeinsam mit dem Industriegasunternehmen Linde, Projektname „H2Pioneer“). Er geht voraussichtlich diesen Sommer in Betrieb.

Zweiter Ansatzpunkt ist das europaweit einzigartige Projekt „ReHyb“: Im Sinne einer intelligenten, nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wird der grüne Wasserstoff nach Gebrauch in der Halbleiterfertigung aufbereitet und dem öffentlichen Verkehr in Villach mit einem Brennstoffzellen-Bus zur Verfügung gestellt. Der bei Infineon gereinigte H 2 reicht für 1,5 Millionen emissionsfreie Buskilometer pro Jahr aus.

Die OMV investiert gemeinsam mit der Kommunalkredit 25 Millionen Euro in die größte Elektrolyseanlage Österreichs in der Raffinerie Schwechat. Jahresproduktion: bis zu 1.500 Tonnen. Die Inbetriebnahme soll Mitte 2023 erfolgen. Der grüne wird den grauen Wasserstoff in der Raffinerie substituieren. Das führt zu einer jährlichen Reduktion des OMV-Carbon-Footprints von 15.000 Tonnen und ermöglicht 17 Millionen „cleane“ Bus-bzw. Lkw-Kilometer.

Wien Energie beginnt Mitte 2022 mit dem Bau einer 2,5-Megawatt-Elektrolyseanlage, die ab Mitte 2023 aus 100 Prozent Ökostrom Wasserstoff produzieren wird. Beim Tochterunternehmen Wiener Linien ist bereits ein Brennstoffzellen-Testbus im Einsatz (siehe auch Seite 94). Zusätzlich wird mit Partnern wie Siemens Energy und Verbund an neuen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff in kalorischen Kraftwerken für mehr Effizienz und weniger Emissionen intensiv geforscht. Im Wien-Energie-Kraftwerk Donaustadt startet 2023 der weltweit erste Versuch, dem eingesetzten Erdgas H 2 beizumischen.

aus der Photovoltaikanlage

Dass Wasserstoff nicht nur für große Industriebetriebe und Energieversorger interessant ist, beweist das oberösterreichische Familienunternehmen Fronius, Innovationsführer im Bereich solarer Wasserstoff. Der Fronius Solhub ist eine dezentrale, schlüsselfertige Komplettlösung, die nicht nur mittels Photovoltaik direkt beim Anwender Wasserstoff erzeugt, sondern auch Überschussstrom als H 2 speichert und die Rückverstromung ermöglicht. „Die eigene Stromproduktion vor Ort ist die günstigste und macht Wasserstoff betriebswirtschaftlich interessant“, erklärt Thomas Rührlinger, Business Development Hydrogen Solutions. „Unseren Solhub als Knotenpunkt macht die Sonne an 24 Stunden am Tag verfügbar. Es gibt ihn in verschiedenen Leistungsgrößen ab 48 Kilogramm H 2-Produktion am Tag.“

Die ersten beiden Solhubs werken bereits seit einigen Jahren im Teillastbetrieb bei Fronius selbst und dienen dem eigenen Fuhrpark mit vorerst drei Brennstoffzellen-Pkw (ein H 2-Pkw fährt mit sechs Kilogramm Wasserstoff rund 550 Kilometer weit). Der dritte befindet sich bei der SAN-Gruppe in Herzogenburg in Vollendung und ist dann ab Sommer 2022 die erste grüne Wasserstoff-Kundenanlage Österreichs. Der Solarstrom entstammt der 1,5-Megawatt-PV-Anlage der Firma SAN (ihre Leistung entspricht dem Jahresenergieverbrauch von 200 Haushalten), der Elektrolyseur liefert bis zu 100 Kilogramm H 2 pro Tag, der der firmeneigenen Notstromversorgung und externen Partnern zur Verfügung steht.

Fronius sieht weitere künftige Kunden vor allem in Unternehmen, Gemeinden und kommunalen Betrieben mit einer Flotte aus energiefressenden Nutzfahrzeugen wie etwa Müllabfuhr oder Bussen. Die Anfragen mehren sich, und vier Interessenten sind bereits in der Phase des Detail-Engineerings.

Power to Gas in der Steiermark

Die Energie Steiermark wiederum baut seit Anfang April 2022 in Gabersdorf im Süden des Bundeslandes die erste außerbetriebliche Produktionsanlage für grünen Wasserstoff in Österreich (Investitionsvolumen: 10,5 Mio. Euro). Die Produktionsstätte kombiniert einen 6.000 Quadratmeter großen Photovoltaik-Park mit einer Biogasanlage und soll bereits ab Ende 2022 jährlich bis zu 300 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren. Erste Kunden dafür sind die Wolfram Bergbau und Hütten AG und die Stadt Graz für Wasserstoffbusse.

Parallel zur Wasserstoff-Produktion läuft hier das Projekt „Renewable Gasfield“ an. Die eingesetzte Lösung nennt sich „Power to Gas“: Wasserstoff wandelt Rohbiogas CO2-neutral in energiereiches Methan um. Dieses kann dann problemlos in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden. Damit ist Gabersdorf ab Winter 2022/23 eine dreifache Energiequelle: für Industrie, Mobilität und Haushalte. Weitere Anlagen sind angedacht.

Ziel: Biogas und Wasserstoff zu Hause produzieren

Die Krajete GmbH, ein oberösterreichischer Spezialist zur Aufreinigung von Gasen mit Kunden in der deutschen Automobilindustrie, arbeitet daran, die Power-to-Gas-Technologie einzelnen Haushalten zur Verfügung zu stellen. Für die dezentrale Produktion von hochwertigem Methangas sind drei Komponenten nötig: eine kleine Fermentationsanlage im Garten (die Bioabfälle in Biogas umwandelt), Photovoltaik am Dach sowie ein Heimelektrolyseur in der Größe einer Bierkiste. Der Wasserstoff dient dabei als „Bio-Booster“, der den CO2-Anteil im Biogas (rund 50 Prozent) in hochwertiges Methan umwandelt. Zusätzlich wird überschüssiger Sonnenstrom in Form von Wasserstoff gespeichert und kann bei Bedarf rückverstromt werden.

Der entstandene grüne Wasserstoff wird in druckdichten, zehn bis 50 Liter großen Stahlflaschen abgefüllt und gelagert. „Vorteil dieser Kleinsteinheiten H 2 ist die Sicherheit: Wasserstoff ist in größeren Mengen sehr reaktiv, leicht entzündbar und höchst explosiv. Dieses Gefahrenpotenzial wird leider gerne verschwiegen“, so Geschäftsführer Alexander Krajete. Sein ehrgeiziges Ziel ist, die kompakte Kleinanlage inklusive privatem Elektrolyseur in wenigen Jahren über Baumärkte für jedermann erschwinglich zu machen.

Gewinn

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