Moskaus stumpfe Waffe

24. Mai 2022

Bulgarien koppelt sich ab. Wie das Land im Osten der EU Russlands Gas-Stopp verkraftet.

Stell dir vor, Russland dreht das Gas ab, aber keiner merkt es. So ist es derzeit in Bulgarien. Am 27. April stellte der russische Staatskonzern Gazprom seine Erdgaslieferungen an Bulgarien ein.

Der Grund: Die bulgarische Gesellschaft Bulgargaz weigerte sich, die Rechnungen in Rubel zu bezahlen. Doch obwohl Bulgarien bis dahin 90 Prozent seines Gasverbrauchs aus Russland bezog, macht sich der Lieferstopp für die privaten Haushalte und die gewerblichen Abnehmer nicht bemerkbar. Versorgungsengpässe oder Rationierungen gibt es nicht. Die Kunden von Bulgargaz können sogar hoffen, in Zukunft niedrigere Gasrechnungen zu bekommen.

Als der neue Regierungschef Kiril Petkow vergangene Woche von einem Arbeitsbesuch in Washington nach Sofia zurückkehrte, brachte er eine gute Nachricht mit: Schon im Juni soll Bulgarien die erste Lieferung von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA bekommen – zu Preisen, die etwas unter denen von Gazprom liegen, wie Petkow nach seinem Gespräch mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris berichtete. Das amerikanische Gas soll Bulgarien über LNG-Terminals in Griechenland und der Türkei erreichen. Ein langfristiger LNG-Liefervertrag mit einer US-Gesellschaft soll zu Preisen weit unter denen der ersten Lieferungen geschlossen werden, kündigte Petkow an.D amit spart Bulgarien bares Geld. Das Land profitiert vom russischen Lieferstopp. Denn der jetzt von Gazprom einseitig aufgekündigte Vertrag enthielt eine „Take or Pay“-Klausel: Danach hätte Bulgargaz 80 Prozent der vereinbarten Liefermenge bezahlen müssen, auch wenn das Land weniger Gas abnimmt.

Dass Bulgarien den Lieferstopp so gut verkraftet, hat vor allem zwei Gründe. Erstens verbraucht das Land mit seinen rund sieben Millionen Einwohnern nicht sehr viel Erdgas. Im vergangenen Jahr waren es 3,3 Milliarden Kubikmeter. Davon kamen zwar drei Milliarden von Gazprom. Doch diese Menge lässt sich relativ leicht ersetzen.

Österreich zählt dagegen zu den gashungrigen EU-Ländern. Mit seinen knapp neun Millionen Menschen benötigte es 2019 8,3 Milliarden Kubikmeter und 2020 fast 8 Milliarden. Bis zu 80 Prozent davon stammen aus Russland. Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis jedenfalls sicherte seinem bulgarischen Amtskollegen Petkow schon wenige Stunden nach dem russischen Embargo am 27. April telefonisch Unterstützung zu. Die bulgarische Bulgargaz und der griechische Gasversorger Depa wollen bei der Gasbeschaffung künftig zusammenarbeiten. Gemeinsam könnten beide Unternehmen bessere Konditionen aushandeln, sagt der griechische Energieminister Kostas Skrekas.

Beide Länder sind über eine Pipeline, die vom griechischen Sidirokastro nach Dupnitsa in Bulgarien führt, miteinander vernetzt.

Der zweite Grund: Bulgarien war auf einen möglichen Stopp der russischen Gaslieferungen vorbereitet. Die aktuellen Lieferverträge mit Gazprom wären Ende 2022 ausgelaufen. Man habe ohnehin nicht die Absicht gehabt, sie zu verlängern, heißt es in Regierungskreisen in Sofia.

Bulgarien sicherte sich deshalb schon zu Beginn dieses Jahres LNG-Kontingente, die über das Terminal Revithousa bei Athen ins griechische Netz eingespeist und von dort nach Bulgarien weitergeleitet werden. Griechenland erhöht jetzt die Speicherkapazitäten in Revithousa um zwei Drittel von 225.000 auf 375.000 Kubikmeter LNG. Bulgargaz verhandelt außerdem mit der staatlichen türkischen Gasgesellschaft Botaş über eine Nutzung des LNG-Terminals bei Marmara Ereğlisi, westlich von Istanbul. Von hier führt bereits eine Pipeline nach Bulgarien.

Zu den Vorbereitungen auf einen möglichen Lieferstopp aus Russland gehörte auch eine 20-prozentige Beteiligung der staatlichen Bulgartransgaz an der griechischen Gastrade, die beim Hafen von Alexandroupoli in Nordgriechenland ein schwimmendes LNG-Terminal baut. Die Anlage soll in der zweiten Hälfte 2023 betriebsbereit sein und wird dann die wichtigste Drehscheibe für die Gasversorgung Bulgariens.B ereits im Juli geht der Interconnector Greece–Bulgaria (IGB) in Betrieb, eine Pipeline, die das nordgriechische Komotini mit Stara Zagora in Bulgarien verbindet. Mit der Leitung bekommt das Land nicht nur Anschluss an Alexandroupoli, sondern auch an den südlichen Gaskorridor, der Erdgas aus Aserbaidschan über Georgien und die Türkei nach Nordgriechenland und von dort weiter nach Italien bringt.

Damit ist Bulgariens Gasversorgung auch ohne russische Lieferungen gesichert. Mehr noch: Bulgarien wird zum Transitland für die Versorgung der Balkanregion mit nicht-russischem Gas.

Anders sieht es beim Öl aus. Hier ist Bulgarien noch in hohem Maß von Russland abhängig. Die einzige Raffinerie des Landes bei Burgas am Schwarzen Meer gehört dem russischen Konzern Lukoil und verarbeitet zu 50 Prozent russisches Öl. Eine Umstellung auf andere Ölsorten wäre technisch aufwendig und zeitraubend. Bulgarien hat deshalb in der EU Widerspruch gegen das geplante Ölembargo angemeldet. Sofia fordert eine Ausnahmeregelung, die es dem Land für eine Übergangszeit erlaubt, weiterhin russisches Öl zu kaufen.

Österreich dagegen importiert kein russisches Öl mehr.

von Gerd Höhler

Salzburger Nachrichten

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