EU-Gipfel einigte sich auf Öl-Embargo gegen Russland

31. Mai 2022, Brüssel/Kiew (Kyjiw)/Moskau
Die EU einigte sich auf ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland - Brussels, APA/AFP

Die EU hat sich auf ein sechstes Sanktionspaket einschließlich des seit Wochen umstrittenen Öl-Embargos gegen Russland verständigt. Dies teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am späten Montagabend nach Beratungen beim EU-Sondergipfel in Brüssel auf Twitter mit. „Einigkeit. Einigung auf ein Verbot des Exports von russischem Öl in die EU“, schrieb Michel. Es würden „sofort“ zwei Drittel aller Ölimporte gekappt. Vor Journalisten sprach er später sogar von 75 Prozent.

Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigten sich bei einer Pressekonferenz nach dem ersten Gipfeltag erleichtert über die Einigung. „Wir haben einige Wochen gebraucht, um diese Entscheidung zu erzielen und es gab schon Spekulationen, dass es uns an Einigkeit mangelt“, räumte Michel ein. „Wir brauchen politische Führungsstärke in diesen außerordentlichen Zeiten.“ Vor allem Ungarn hatte das Ölembargo wochenlang blockiert und Zugeständnisse gefordert.

Mit dem Embargobeschluss verliere Russland eine „riesige Finanzquelle für seine Kriegsmaschinerie“, betonte Michel. Tatsächlich geben die EU-Staaten nach Expertenberechnungen jeden Tag Hunderte Millionen Euro für russisches Öl aus. Man übe „maximalen Druck“ auf das Land aus, „den Krieg zu beenden“.

Michel sagte, dass die politische Einigung bereits am Donnerstag von den EU-Botschaftern in Rechtsform gegossen werden solle. Er verteidigte zugleich die Ausnahme für Pipeline-Öl. Es gehe nämlich darum, auch die Interessen von Binnenstaaten wie Ungarn zu schützen. Von der Leyen sagte, dass der Embargobeschluss die russischen Ölimporte bis Jahresende um 90 Prozent reduzieren werde. Sie verwies darauf, dass Deutschland und Polen freiwillig auf Pipeline-Öl verzichten wollen. Damit blieben nur noch Importe im Umfang von zehn bis elf Prozent, die über die russische Druschba-Pipeline nach Ungarn liefen. Österreich hat sich eigenen Angaben zufolge schon im März gänzlich von russischen Ölimporten verabschiedet.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban begrüßte nunmehr den Kompromiss: „Wir haben eine Vereinbarung getroffen, die besagt, dass Länder, die Öl durch Pipelines erhalten, ihre Volkswirtschaften unter den bisherigen Bedingungen weiter betreiben können“, betonte Orban in einer Videobotschaft auf Facebook. Ein vollständiges Importverbot für russisches Öl wäre für Ungarn „untragbar“ und „wie eine Atombombe“ gewesen“, sagte Orban.

Von der Leyen trat auf eine Journalistenfrage Spekulationen entgegen, dass Budapest jetzt noch jahrelang am russischen Öl-Tropf hängen könne. Der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic habe beim Gipfel berichtet, dass durch einen Ausbau einer kroatischen Pipeline von der Adria auch Ungarn versorgt werden könne. Die entsprechenden Anpassungen würden nur „45 bis 60 Tage“ dauern. „Ungarn kann sich wirklich von russischem Öl entkoppeln“, betonte sie. Zugleich verwies sie auf einen Passus in den Gipfelschlussfolgerungen, wonach sich der Europäische Rat „so schnell wie möglich“ wieder mit der „vorübergehenden Ausnahme“ für russisches Pipeline-Öl befassen solle.

Teil des Sanktionspakets ist auch der Ausschluss der staatlichen russischen Sberbank aus dem Bankenkommunikationssystem SWIFT. Von der Leyen wertete diesen Beschluss als bedeutend, da die Bank einen Marktanteil von 35 Prozent habe. Wichtig sei auch das Verbot von drei weiteren russischen Staatssendern, die Desinformation betrieben.

Von der Leyen und Michel gaben zudem eine Geldspritze in Höhe von neun Milliarden Euro für Kiew bekannt, damit Pensionen, Löhne und grundlegende staatliche Dienstleistungen finanziert werden können. Außerdem wolle man gemeinsam mit Partnern eine Plattform für den Wiederaufbau der Ukraine ins Leben rufen. Dabei sei aber „klar, dass die Investitionen an Reformen geknüpft sind“, forderte die Kommissionspräsidentin weitere Bemühungen Kiews im Kampf gegen die Korruption.

Von der Leyen berichtete, dass die EU-Chefs am ersten Gipfeltag auch mit Beratungen über die künftige Energieversorgung Europas begonnen haben. Diese Gespräche sollen am Dienstag fortgesetzt werden. Dabei geht es auch um die vorübergehende Einführung von Preisobergrenzen, die unter anderem von Österreich unterstützt wird.

Während sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem ersten Gipfeltag nicht äußerte, begrüßte sein deutscher Kollege Olaf Scholz die Einigung. „Die EU ist sich einig“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter. „Wir haben uns auf weitere einschneidende Sanktionen gegen Russland verständigt.“ Das Embargo werde einen Großteil der russischen Öl-Importe betreffen.

Der Durchbruch kam überraschend, nachdem die EU-Chefs zum Gipfelauftakt noch ihren Dissens bekräftigt hatten. So positionierte sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gegen einen im Vorfeld präsentierten Kompromissvorschlag, der die Lieferung von russischem Öl über Pipelines weiter erlaubt hätte. Orban begrüßte zwar die Pipeline-Ausnahme, forderte aber zusätzliche Garantien und erhielt dafür auch die Unterstützung von Bundeskanzler Nehammer, der Verständnis für die „Sorgen“ des Nachbarlandes äußerte und auf die ähnlich starke Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas verwies.

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) begrüßte die Einigung am Dienstag. „Die EU beweist einmal mehr, wir stehen geeint hinter der Ukraine. Das ist ein wahres Zeichen von europäischer Stärke“, erklärte sie in einer Stellungnahme gegenüber der APA. „Wir müssen aufhören, dass interne Diskussion über noch nicht beschlossene Maßnahmen immer gleich als Spaltung und Schwäche gesehen werden.“

Zu Beginn des Gipfels richtete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky an die EU-Chefs. In seiner knapp zehnminütigen Botschaft mahnte er die Union zur Einigkeit und einem raschen Beschluss des sechsten Sanktionspakets. „Es ist Zeit für Sie, nicht einzeln zu handeln, sondern gemeinsam“, meinte Selenskyj. „Warum hängen Sie von Russland ab und vom russischen Druck, und warum ist das nicht umgekehrt“, so der ukrainische Präsident in Anspielung auf die Abhängigkeit der europäischen Staaten von russischen Gas- und Öllieferungen.

Orban sagte, Ungarn brauche Garantien für den Fall, dass die Pipeline blockiert werde. Er spielte damit auf einen möglichen Stopp russischer Öllieferungen an, bei dem der Binnenstaat Ungarn schnell auf dem Trockenen säße. Der EU-Kommission warf er „unverantwortliches Verhalten“ vor: „Zuerst brauchen wir Lösungen, dann Sanktionen.“ Ähnlich äußerte sich Nehammer, der in Anspielung auf die AKW-Staaten monierte, dass zwar viel über ein Öl- und Gas-Embargo diskutiert werde, aber nicht auch über ein Uran-Embargo. Auch sein tschechischer Kollege Petr Fiala forderte mehr Rücksichtnahme auf die Sorgen einzelner Staaten. Dagegen bekräftigten Deutschland und Polen vor dem Gipfel ihren Willen, bis zum Ende des Jahres einen Importstopp für russisches Öl zu verhängen.

APA

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