Hochhäuser als Stromspeicher

13. Juni 2022
IG Windkraft kritisiert hohe Stromimporte, fordert Erneuerbaren-Ausbau - Sinnersdorf, APA/dpa

Gravitationsbatterie. Laut Forschern könnten nicht genutzte Aufzüge schwere Gewichte in die Höhe heben und bei Bedarf beim Hinunterfahren wieder Strom erzeugen

Die Speicherung und das kurzfristige Abrufen von Strom ist eine der größten Herausforderungen der Energiewende. Die Produktion von Solar- und Windkraftwerken schwankt wetterbedingt. Um das Stromnetz auf klimafreundliche Weise stabil zu halten, benötigt man etwa Pumpspeicherkraftwerke, große chemische Batterien oder die Umwandlung von Strom in Wasserstoff. Es gibt aber auch Ideen, die Schwerkraft stärker auszunutzen.

Schwere Gewichte mit überschüssigem Strom auf höhere Ebenen zu befördern und sie bei Bedarf wieder absinken zu lassen und damit Generatoren zu betreiben, lautet das Prinzip. Die Unternehmen Energy Vault und Gravitricity wollen es durch Kräne oder hohe Lagerhallen sowie in ungenutzten Minenschächten ausnutzen (siehe rechts). Eine andere Möglichkeit beschreiben nun Forscher des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg in einer neuen Studie.

Motor wird Generator

Ihre Idee ist, Aufzüge von Hochhäusern zu nutzen, um Gewichte in höhere Stockwerke zu befördern. Dort sollen sie gelagert und bei Bedarf wieder in die Lifte verfrachtet werden. Fährt der schwer beladene Lift nach unten, wird der Motor zum Generator und erzeugt Strom. „Die Idee ist mir bei einem Umzug gekommen“, erzählt Julian Hunt, der leitende Autor der Studie. „Der Lift war kaputt und es war so anstrengend, die Sachen hinauf zu schleppen. Da dachte ich daran, wie viel Energie man eigentlich durch Lifte speichern könnte.“

Gemeinsam mit Kollegen untersuchte Hunt die Möglichkeit, eine „Lift Energy Storage Technology“ (LEST) zu entwickeln. Die Lösung der Forscher besteht aus Containern, die mit nassem Sand gefüllt sind. Sie sind schwer, dicht und günstig. Diese Container werden in nicht genutzten Bereichen eines Hochhauses gelagert. Transportiert werden sollen sie durch autonome Roboter, ähnlich jenen, die bereits in vielen Fabriken und Lagern zum Einsatz kommen.

„Der Vorteil ist, dass LEST bereits vorhandene Infrastruktur nutzt“, sagt Hunt. Weltweit gebe es rund 22.500 Gebäude, die höher als 50 Meter sind. 30 bis 40 Meter sind die Mindesthöhe, ab denen der Lift-Stromspeicher Sinn mache. Pro Gebäude gebe es im Schnitt zehn Aufzüge. Ein Energierückgewinnungssystem haben bisher nur wenige, ein Nachrüsten sei aber relativ einfach, heißt es auf Nachfrage beim Aufzughersteller Schindler. In hohen Gebäuden seien Aufzüge mit Energierückgewinnung noch am ehesten verbreitet, weil sich der Einsatz dort mehr auszahle. Mehr Menschen, die gleichzeitig mit einem Lift fahren, bedeuten mehr Gewicht und mehr Stromausbeute.

Wochenendbetrieb

Wenn eine Liftkabine samt Sandcontainern mit einem Gesamtgewicht von 1.500 Kilogramm in einem Gebäude hinunter fährt, können 20 bis 50 Kilowatt erzeugt werden, sagt Hunt. Mit 20 Liften komme man dann im besten Fall auf ein Megawatt, was sich mit einem kleineren Windrad vergleichen lässt. Hauptsächlich genutzt werden soll LEST in der Nacht und an Wochenenden, wenn etwa große Bürotürme weitgehend ungenutzt bleiben.

Eine Herausforderung für LEST ist die Maximallast, die eine Stockwerkdecke tragen kann. Die Container dürfen diese Grenze klarerweise nicht überschreiten.

Am Ende bleibt noch die Frage, wo man die Container unterbringt. Sind die hoch und schmal genug, können sie auf Gängen untergebracht werden, in der Nacht könnten aber auch ganze Büros damit vollgestellt werden. Laut Hunt sei ansprechendes Design jedenfalls wichtig, damit Menschen die schweren Blöcke und ihre Transportroboter als wertvollen Beitrag zur Energiewende wahrnehmen.

Kurier