Gastkommentar
Die jüngsten Geschehnisse haben deutlich gemacht, dass wir für den Ölausstieg noch nicht bereit sind.
Wie sich die Preise von Rohöl, Raffinerieprodukten und Erdgas in den kommenden zwölf Monaten entwickeln werden, das fragen sich viele Investoren und Verbraucher. Denn in den vergangenen acht Monaten hat sich der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Brent zunächst von rund 70 auf mehr als 130 US-Dollar fast verdoppelt, um anschließend wieder 20 Prozent abzugeben. Mittlerweile liegt die Notierung bei rund 120 US-Dollar, aber sie schwankt nach wie vor spürbar.
Allzu sehr überraschen sollte das nicht. Denn der Ölpreis ist aktuell nicht nur Ausdruck von Angebot und Nachfrage, sondern auch ein Spielball geopolitischer Entwicklungen, getrieben vom Ukraine-Krieg. Er befindet sich im Spannungsfeld zwischen der hohen Nachfrage nach Energie und dem erklärten Willen, den Abschied von fossilen Energieträgern zu beschleunigen, um dem Klimawandel Grenzen zu setzen.
Leere Lager und steigender Ölpreis durch Ukraine-Krieg
Ein Rückblick: Die Corona-Pandemie führte weltweit zu einem deutlichen Rückgang der Nachfrage nach Rohöl und raffinierten Ölprodukten. Die Menschen fuhren weniger Auto und flogen seltener oder gar nicht mehr in den Urlaub. Auch in der Industrie war die Stimmung mau und daher der Energiebedarf deutlich reduziert. Um den Preis stabil zu halten, reagierte die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und setzte der niedrigen Nachfrage ein niedriges Angebot entgegen. Sie kürzte die Produktion.
Als dann das Pandemiegeschehen langsam in den Hintergrund trat und die Nachfrage wieder anstieg, die Produktion aber zunächst gleich blieb, setzte der Ölpreis zu einem kleinen Höhenflug an. Die Lager leerten sich. Dann begann der Krieg, und der Ölpreis ging förmlich durch die Decke. Zur bereits erhöhten Nachfrage kam die Unsicherheit angesichts drohender Lieferstopps und etwaiger Embargos vor dem Hintergrund leerer Lager.
Hinzu kommt, dass die Ölbranche vor dem Hintergrund der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft sehr lange nicht mehr investiert hat. Erneuerbare Energien sollen auf Sicht Öl und Gas ersetzen. Warum also noch viel Geld in die Hand nehmen, um ein neues Ölfeld zu erschließen? Die Folge: Die Förderkapazität kann nicht mehr ohne weiteres hochgefahren werden. Die Ölunternehmen hat das in eine komfortable Situation gebracht. Die Kosten sind niedrig, weil wenig investiert wurde, aber die Cashflows dank der kräftigen Nachfrage und der hohen Preise immens. Kein Wunder, dass Aktien von Ölkonzernen in den vergangenen Monaten sehr gut abgeschnitten haben.
Nichtsdestotrotz haben die Geschehnisse in der Ukraine und die Folgen für den Weltmarkt deutlich gemacht, dass wir für den Ölausstieg noch nicht bereit sind. Verschiebungen auf der Angebotsseite können eine erhebliche Preisreaktion zur Folge haben. Zumindest mit Blick auf Rohöl lässt sich aber konstatieren, dass sich die Lage etwas beruhigt hat. Die Freigabe der strategischen Reserven etwa durch die USA hat den Markt entspannt, die Opec hat die Produktion wieder nach oben angepasst, und russisches Öl findet alternative Wege zurück in den Weltmarkt. Statt wie zuvor nach Westen fließt es nun nach Osten zu asiatischen Abnehmern wie China und Indien, die es mit einem erheblichen Abschlag von rund 35 US-Dollar pro Fass kaufen.
Grundsätzlich ist die Versorgungslage intakt. Nur, warum spüren die Verbraucher vom verbesserten Angebot so wenig? Die Antwort ist in der Tat diffizil. Denn tatsächlich hat sich der Preis der raffinierten Produkte von der Entwicklung des Ölpreises etwas abgekoppelt. Die hohen Kosten an der Zapfsäule sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Russland nicht nur ein bedeutender Ölexporteur ist, sondern auch viele Ölprodukte ins Ausland verkauft.
Zu den 2,7 Millionen Barrel Rohöl, die Russland in die EU exportiert, kommen noch 2,3 Millionen Barrel raffinierte Produkte, also etwa Diesel und Benzin. Und diese lassen sich nicht ohne weiteres ersetzen, weil sie in der Regel möglichst nahe beim Endkonsumenten raffiniert werden. Da durch den Krieg auch einige Raffinerien ausfallen, herrscht bei den verbliebenen Standorten Hochbetrieb, und die Margen sind auf ein Rekordniveau geklettert. Darum wird auch die Senkung der Mineralölsteuer, wenn überhaupt, nur mit Verzögerung die Verbraucher etwas entlasten.
Urlaubssaison steigert Nachfrage zusätzlich
Die Situation dürfte sich in den kommenden Wochen wenig verbessern. Millionen Europäer fiebern ihrem Sommerurlaub entgegen, für viele ist es nach den Corona-Jahren die erste echte Auszeit – und die wird sich kaum jemand nehmen lassen, auch nicht aus Kostengründen. Außerdem lockert China seine Corona-Maßnahmen zunehmend, sodass auch dort wieder mehr Öl benötigt werden dürfte. Das bedeutet eine erhöhte Nachfrage, die auf niedrige Lagerbestände, knappe Raffineriekapazitäten und ein eingeschränktes Angebot trifft. Und weil von der Nachfrage auch die Vorprodukte betroffen sind, dürfte auch der Ölpreis in den kommenden Monaten auf einem erhöhten Niveau bleiben.
Die gute Nachricht ist, dass sich ab dem Spätsommer die Situation sukzessive entspannen sollte. Aus zwei Gründen: Das Angebot erweitert sich stetig, denn die Opec baut ebenso wie die USA ihre Förderung aus. Gleichzeitig wird der teure Spritpreis, wenn dann auch Maßnahmen wie etwa der Tankrabatt wegfallen, dafür sorgen, dass die Nachfrage langsam zurückgeht. Das Ganze passiert in einer Zeit, in der saisonal bedingt ohnehin weniger Öl gebraucht wird als etwa im Hochsommer – zumal viele aus Furcht vor Versorgungsengpässen ihre Öltanks heuer eher früher als sonst füllen dürften.
Unter dem Strich sollte der Preis für Öl also sukzessive fallen. Bis zum Jahresende 2022 sollte ein Fass der Sorte Brent etwa 95 US-Dollar kosten. In zwölf Monaten könnte der Preis dann bei 80 US-Dollar liegen – vorausgesetzt, wir sehen keine weitere Eskalation im Ukraine-Krieg, etwa durch die Beteiligung weiterer Kriegsparteien, und auch keinen sprunghaften Anstieg der Nachfrage aus China.
Gaspreis bleibt dauerhaft auf höherem Niveau
Anders als beim Öl werden wir uns beim Thema Gas an strukturell höhere Preise gewöhnen müssen. Bisher waren die Europäer in der komfortablen Situation, aus Russland günstig mit Pipeline-Gas versorgt zu werden. Doch der russische Einmarsch in der Ukraine hat alles verändert. Das Risiko der enormen Abhängigkeit Europas von Russland trat offen zutage, und das Thema Energiesicherheit rückte für Politiker, Unternehmen und Privathaushalte auf der Agenda ganz nach oben.
Denn einerseits könnte Russland jederzeit die Gaslieferungen stoppen und so Europas Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen. Andererseits sind die Gasexporte eine wichtige Einnahmequelle Russlands, die auch den Angriffskrieg mitfinanziert. Bis Februar empfanden Länder wie Deutschland die Abhängigkeit nicht als Problem. Nun aber gibt es akuten Handlungsdruck. Ein Schlüssel ist die großangelegte – und im Kampf gegen den Klimawandel ohnehin dringend benötigte – Energiewende, die durch die aktuellen Entwicklungen nochmals an Bedeutung gewinnt.
Bis eine flächendeckende und ausreichende Versorgung mit grüner Energie in Reichweite rückt, müssen sich die Europäer ihr Gas in Form von Flüssiggas auf dem Weltmarkt besorgen. Dabei konkurrieren sie mit den asiatischen Staaten. Das ist deutlich spürbar: Im Jahresvergleich hat sich der Gaspreis vervierfacht. Bisher war Gas in Europa meist etwas günstiger als in Asien. Das dürfte nun vorbei sein. Europa muss aktuell einen höheren Preis als die asiatischen Staaten bezahlen, um das Gas geliefert zu bekommen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die asiatischen Staaten ihren Strom durch die Verfeuerung von Kohle erzeugen dürften, wenn durch die Nachfrage aus Europa Gas für sie nicht mehr erschwinglich wird.
Eine schnelle Linderung ist hier kaum zu erwarten. Bis neue Quellen, etwa in Katar, erschlossen sind, wird es wohl noch einige Jahre dauern. Dem Bau neuer Anlagen und der Erschließung neuer Gasfelder steht zudem der politische Wille zur Energiewende samt Abschied von den fossilen Brennstoffen entgegen. Insbesondere mit Blick aufs Gas heißt es also, die Zähne zusammenzubeißen und den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, um zumindest über eine geringere Nachfrage den Preis zu mindern.
Max Holzer leitet im Portfoliomanagement von Union Investment die Abteilung Relative Return des Bereiches Multi Asset. Zudem ist er Mitglied des Union Investment Committee. Foto: Union Investment
von Max Holzer
Wiener Zeitung