Energie. Nach Deutschland wurde auch Österreich darüber informiert, dass weniger Gas aus Russland kommen wird. Moskau begründet das mit „technischen Problemen“.
Die schlechten Nachrichten kommen scheibchenweise: Am Dienstag hat der russische Gaskonzern Gazprom angekündigt, die Gaslieferungen durch die Ostseepipeline nach Deutschland um 40 Prozent zu reduzieren, in der Nacht auf Donnerstag wurde eine nochmalige Drosselung vorgenommen. Und am gestrigen Donnerstag gab es eine weitere Hiobsbotschaft: Nach Deutschland meldeten auch Österreich und Tschechien reduzierte Gaslieferungen. Ein Sprecher des heimischen Öl- und Gaskonzerns OMV erklärte, der russische Lieferant habe über eine Reduzierung informiert. Die Versorgung der Kunden sei freilich „derzeit“ sichergestellt, „wir werden diese Mengen — sofern aufgrund des geringeren Gasbedarfs überhaupt notwendig — durch Speichermengen und Mengen vom Spotmarkt ersetzen“, sagte er.
In Europa stiegen die Gaspreise am Donnerstag spürbar an. Der richtungweisende Terminkontrakt zog um bis zu 30,5 Prozent auf 148,73 Euro je Megawattstunde an.
Gazprom hat am Dienstag angekündigt, das bisher via Nord Stream geplante Tagesvolumen von 167 Millionen um rund 40 Prozent auf 100 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag zu reduzieren. Am Mittwoch wurde ergänzt: In der Nacht auf Donnerstag sollten täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter täglich fließen. Das russische Staatsunternehmen begründete diesen Schritt mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten, deshalb müsse eine weitere Gasverdichtungsanlage abgestellt werden.
Technisch nicht zu begründen
Die deutsche Bundesnetzagentur bezeichnete das Vorgehen Moskaus allerdings als „technisch nicht zu begründen“. Dass Russland seine Lieferungen durch Nord Stream 1 nun auf etwa 40 Prozent senkt, ist aus Sicht des Präsidenten der Agentur, Klaus Müller, ein Warnsignal. „Russland schürt damit leider Verunsicherung und treibt die Gaspreise hoch“, sagte er.
Wenn Gazprom über Wochen nur 40 Prozent durch die Pipeline liefere, bekomme Deutschland ein Problem. „Das würde unsere Situation erheblich verschlechtern. Über den Sommer könnten wir das vielleicht aushalten, denn die Heizsaison ist ja vorbei. Allerdings müssen wir jetzt zwingend die Speicher füllen, um den Winter zu überstehen“, sagte Müller der „Rheinischen Post“.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht ebenfalls von einer „vorgeschobenen Begründung der russischen Seite“. Angesichts des Rückgangs rief der Grüne abermals zum Energiesparen auf: „Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“ Und er mahnte: „Wir müssen wachsam sein. Wir müssen konzentriert weiterarbeiten. Vor allem aber dürfen wir uns nicht spalten lassen. Denn das ist das, was Putin vorhat.“
Österreich beobachtet
Das österreichische Energieministerium unter Leonore Gewessler (Grüne) erklärte am Donnerstag angesichts der reduzierten Gaslieferungen aus Russland: Man werde die Situation in Österreich genau beobachten. „Wir überwachen die Situation und sind mit der OMV in engem Austausch“, hieß es in einer Stellungnahme. Und: „Zur Stunde gibt es keine Anzeichen für einen Lieferstopp, wir sind aber auf alle Szenarien vorbereitet.“
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Europäische Staaten versuchen seitdem, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, indem sie mehr Gas aus anderen Staaten beziehen. Österreich gilt mit seiner 80-prozentigen Abhängigkeit von russischem Gas als besonders verwundbar.
Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und Dänemark erhalten bereits kein Gas mehr aus Russland. Kremlchef Wladimir Putin hatte Ende März ein neues Zahlungssystem angeordnet — als Reaktion auf die Sanktionen des Westens im Zuge von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Verfahren sieht vor, dass Kunden bei der staatlichen russischen Gazprombank ein sogenanntes K-Konto eröffnen. Dort können sie wie bisher ihre Rechnungen in Euro oder Dollar begleichen, die Bank konvertiert das Geld in Rubel und überweist es an Gazprom. Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und Dänemark aber verweigerten das neue Schema.
Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas. Zuvor war schon die Leitung Jamal-Europa, die durch Polen führt, nicht mehr befüllt worden. Den Transit über die Ukraine hatte Gazprom bereits Mitte Mai gedrosselt. Auch am Donnerstag flossen den Daten des staatlichen Gasnetzbetreibers zufolge nur etwas weniger als 40 Prozent der vertraglich vorgesehenen Mengen nach Westen. Laut Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow ist auch ein komplettes Runterfahren der wichtigsten Versorgungsleitung für Deutschland nicht ausgeschlossen.
Politisch motiviert?
Die Drosselung der Gasmenge fällt mit dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Kiew zusammen. Dort traf er am Donnerstag gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi ein (siehe Bericht Seite 2).
Im Laufe des Donnerstags berichtete jedenfalls auch der italienische Energiekonzern ENI, dass Gazprom nur zwei Drittel der vertraglich vereinbarten Mengen liefert. (kor./ag)
Die Presse