Reduzierte Gasflüsse schüren Ängste

22. Juni 2022

Den vierten Tag in Folge ist am Sonntag in Österreich und anderen EU-Ländern weniger Gas aus Russland eingelangt – wegen technischer Probleme, wie Moskau behauptet. Bundeskanzler Nehammer hat einen Krisengipfel einberufen.

Seit Donnerstag kommt deutlich weniger Gas über Pipelines aus Russland in Österreich an. Moskau bleibt dabei, dass die verminderten Gasflüsse über die Ostseepipeline Nord Stream 1 technischen Problemen geschuldet seien, namentlich dem Ausfall einer Siemens-Turbine, die in Kanada gewartet und sanktionsbedingt nicht an die russische Betreibergesellschaft übergeben werden darf.

Von der 60-prozentigen Liefermengeneinschränkung ist vor allem Deutschland betroffen. In Lubmin an der Ostsee trifft die 2011 in Betrieb gegangene Nord Stream 1 an Land. Deutschland bezieht normalerweise sehr viel Gas daraus. Betroffen ist aber auch Frankreich, das wegen des Druckabfalls seit Tagen kein Gas mehr aus Russland bekommt. Auch Italien berichtet von einem 50-prozentigen Lieferrückgang. Desgleichen Tschechien und Österreich, wobei Österreich den Großteil des in Russland gekauften Gases über Leitungen bezieht, die durch die Ukraine und die Slowakei laufen.

Dass die Lage dennoch als ernst eingestuft wird, zeigt die Tatsache, dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Sonntagabend zu einem Krisengipfel geladen hat. Mit Wirtschaftsminister Martin Kocher und Energieministerin Leonore Gewessler vom grünen Koalitionspartner sollten dabei die Lage sondiert und die weitere Vorgangsweise abgestimmt werden.

Trotz des verminderten Gasflusses sind die Speicher in den vergangenen Tagen und Stunden weiter befüllt worden. Insgesamt fassen die in Österreich befindlichen unterirdischen Speicher rund 95 Terawattstunden (TWh), das entspricht in etwa einem Jahresbedarf an Gas. Damit verfügt Österreich pro Kopf über die größte Speicherkapazität in Europa.

Aktuelle Daten von Sonntag zeigen, dass die Speicher zu 41,89 Prozent gefüllt sind. Noch am Freitag lag der Füllstand im Schnitt bei 40,20 Prozent. Zum Vergleich: Gegen Ende der Heizsaison im März waren die Speicher nur noch zu 12,0 Prozent gefüllt.

Nachdem kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar die Gaspreise im Großhandel kurzfristig auf bis zu 215 Euro je Megawattstunde (MWh) schnalzten, haben OMV und Co den Preisrückgang in den vergangenen Wochen auf etwa 80 Euro je MWh zum verstärkten Einspeichern genutzt. Seit der Ankündigung und Durchführung der Lieferkürzung am Donnerstag sind die Preise wieder auf über 120 Euro je MWh gestiegen.

Aber hat die OMV als Hauptimporteur von Gas nach Österreich nicht ohnehin Fixpreise mit dem russischen Verkäufer Gazprom? Die Vertragsausgestaltung ist ein streng gehütetes Geheimnis; normalerweise ist solchen sehr komplexen Preisformeln auch ein variables Element eingebaut, das die Preisschwankungen am Spotmarkt abbildet. Höhere Preise im Großhandel bedeuteten deshalb auch höhere Abnahmepreise für die OMV, wenn auch in abgeschwächter Form.

Die OMV hat Insidern zufolge zwei Verträge mit Gazprom abgeschlossen. Einen im Umfang von 60 TWh pro Jahr, der Lieferungen, die in Baumgarten an der niederösterreichisch-slowakischen Grenze übergeben werden, betrifft. Ein zweiter mit etwa 40 TWh hat Lubmin als Übergabepunkt, wo Nord Stream 1 endet. Damit versorgt die OMV hauptsächlich Kunden in Deutschland, ein kleinerer Teil des Gases geht auch physisch nach Österreich.

Stabile Lieferungen

In Baumgarten komme Gas wie gehabt an. Geringere Mengen aufgrund notwendiger Wartungsarbeiten seien üblich und würden durch vorgezogene oder nachfolgende höhere Liefermengen ausgeglichen, hieß es zuletzt bei der Regulierungsbehörde E-Control.

Haushalte müssten selbst bei einem Totalausfall der Lieferungen zumindest kurzfristig nichts befürchten und sich im Gasverbrauch auch nicht einschränken. Großverbraucher aus der Industrie hingegen würden informiert, dass die Versorgungslage schwieriger werde und sie versuchen sollten, darauf zu reagieren. 2009, als es schon einmal kritisch war mit der Gasversorgung, hat das gereicht, weil Spitzen im Verbrauch abgemildert wurden.

Der Standard

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