Wenn 19 Grad in der Wohnung warm genug sind

22. Juni 2022, Berlin

Deutschland. Rund um den Kiew-Besuch von Kanzler Olaf Scholz nehmen die russischen Liefermengen über Nord Stream 1 ab. Die Grünen denken darüber nach, das Energiesparen per Gesetz zu verordnen.

Wie warm muss es in der Wohnung sein? Diese Frage wird in Deutschland vielleicht bald nicht mehr mit jenen besprochen, die sich gerade im selben Raum aufhalten — sondern mit dem Staat. Auf eine Temperatur zwischen 20 und 22 Grad muss eine Wohnung derzeit heizbar sein, der Vermieter muss zentrale Regelgeräte so einstellen, das steht im Mietrecht. Nun wird darüber diskutiert, ob nicht auch zwei oder drei Grad weniger reichen würden.

Gestellt hat diese brisante Frage Klaus Müller, der Präsident der deutschen Bundesnetzagentur. Sie ist unter anderem für die Gas-Infrastruktur zuständig und schreibt Lageberichte zu den Gasimporten aus Russland. „Die Lage ist angespannt“, stand da am Donnerstag zu lesen. In den vergangenen Tagen sanken die Liefermengen aus Russland um 40 Prozent. In den Grafiken der Bundesnetzagentur drückt sich diese Entwicklung in einer Linie aus, die seit dem Wochenende steil abstürzt.

„Das wäre reine Spekulation“

Warum das russische Gas nicht mehr kommt, ist umstritten. Die Gazprom behauptet, es fehlen Ersatzteile und eine Gasturbine, die zur Wartung nach Kanada geschickt wurde. Da die Kanadier die Russen aufgrund des Angriffskriegs in der Ukraine hart abstrafen, könne diese rein rechtlich nicht mehr geschickt werden. Für den Sommer wurden außerdem mehrtägige Wartungsarbeiten angekündigt, während denen noch weniger Gas kommen solle. In deutschen Medien wird auch ein Zusammenhang mit der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew am Donnerstag vermutet.

Diesen sieht der deutsche Wirtschaftsminister, Robert Habeck (Grüne), allerdings nicht. „Dass es überhaupt einen Zusammenhang mit irgendeinem akuten Anlass gibt, wäre reine Spekulation“, sagte er. Klar ist: Die deutsche Regierung befindet sich schon länger in einem Kampf, die Gasversorgung des Landes sicherzustellen.

Über die Jamal-Pipeline an der polnischen Grenze kommt kein Gas mehr, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 ist zur Hauptleitung geworden. Mit der Gazprom Germania hat der deutsche Staat einen wichtigen Energiehändler und Betreiber von Erdgasspeichern unter treuhänderische Verwaltung gestellt. Diese Woche gab sie bekannt, das ehemalige Tochterunternehmen der russischen Gazprom mit einem Kredit zwischen neun und zehn Milliarden Euro über Wasser halten zu müssen. Zudem werde die Gazprom Germania in Securing Energy for Europe GmbH umbenannt.

„Verordnetes Frieren unsinnig“

Am Freitag kündigte die deutsche Regierung an, über Kredite rund 100 Milliarden Euro an Garantien bereitstellen zu wollen, damit energieintensive Unternehmen sich gegen Preissprünge absichern können. Die deutschen Speicher sollen bis Herbst auf mindestens 80 Prozent gefüllt werden — derzeit steht der Zähler laut dem Wirtschaftsministerium bei rund 55 Prozent.

„Wenn die Speichermengen nicht zunehmen, dann werden wir weitere Maßnahmen zur Einsparung, zur Not auch gesetzlich, vornehmen müssen“, sagte Wirtschaftsminister Habeck am Donnerstag. Er rief schon im Frühjahr zum Energiesparen auf und gab nun eine eigene Kampagne in Auftrag. „80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel“ lautet das Motto, bezogen auf die deutsche Bevölkerung.

Ob dazu das Senken der Mindestheizwärme gehört, ist offen. Wohnbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat sich dagegen ausgesprochen. „Gesetzlich verordnetes Frieren halte ich für unsinnig“, sagte sie am Freitag.

von unserem Korrespondenten Christoph Zotter

Die Presse

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