BWB sieht bei Spritpreisen keinen Marktmissbrauch

7. Juli 2022, Wien
Die Bundeswettewerbsbehörde untersuchte den heimischen Treibstoffmarkt - Berlin, APA/dpa

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat in ihrer Branchenuntersuchung zum heimischen Treibstoffmarkt eine „Entkoppelung“ zwischen den Rohöl- und Spritpreisen festgestellt. Die Bruttoraffinierungsmargen der Mineralölkonzerne hätten sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs verdreifacht, geht aus dem heute veröffentlichten 93-seitigen Bericht der BWB hervor.

„Aus den Daten, die der BWB vorliegen, können sich diese Bruttomargensteigerungen kaum zur Gänze aus den gesteigerten Kosten heraus erklären“, sagte die derzeitige BWB-Interimschefin Natalie Harsdorf-Borsch am Donnerstag im Ö1-„Mittagsjournal“ des ORF. „Die Behörde kann derzeit Kartellierung und Marktmachtmissbrauch nicht zur Gänze ausschließen. Wir haben aus den Daten, die wir erhoben haben für die Untersuchung keine gerichtsfesten Hinweise erlangt“, so Harsdorf-Borsch.

„Inwiefern Gewinne ebenso gestiegen sind, hängt von der Entwicklung der Kosten ab, die ebenfalls, aber nicht im gleichen Ausmaß, gestiegen zu sein scheinen“, heißt es im BWB-Bericht. „Es obliegt den Mineralölkonzernen den Beweis anzutreten, sollte sich die bei den Bruttoraffinierungsmargen beobachtete Entwicklung nicht auf die Unternehmensgewinne durchschlagen.“

Die BWB hat den heimischen Treibstoffmarkt im Zeitraum Jänner bis Mitte Juni unter die Lupe genommen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar sind die Benzin- und Dieselpreise stark gestiegen. Der Spritpreisanstieg ist laut den Wettbewerbshütern zu 50 Prozent auf den gestiegenen Rohölpreis und zu 50 Prozent auf die erhöhte Bruttoraffinierungsmargen zurückzuführen.

Die Berechnungen der BWB zeigen, dass in der ersten Junihälfte gegenüber der Zeit vor Beginn des Ukrainekriegs die um rund 36 Cent pro Liter Diesel und 41 Cent pro Benzin gestiegenen Spritpreise sich von den Rohölpreisen „entkoppelt“ haben, weil die Rohölpreise nur um etwas mehr als rund 22 Cent pro Liter gestiegen sind. Der aus dem Rohölpreise-Anstieg „nicht erklärbare stärkere Anstieg der Preise (Entkoppelung)“ an den Tankstellen von Diesel und Benzin habe über diesen Zeitraum zu einer Verdreifachung der Bruttoraffinierungsmargen geführt, so die Wettbewerbshüter.

Erdölraffinerien verarbeiten Rohöl zu Benzin, Diesel und Kerosin. Die Bruttoraffinierungsmargen der Raffinerien von OMV, ENI, Shell, BP und JET schnellten laut BWB im beobachteten Zeitraum bei Diesel im Schnitt um rund 14 Cent pro Liter und bei Benzin um rund 20 Cent pro Liter nach oben. Die Bruttoraffinierungsmarge sei die Grundlage der Raffineriegewinne, es müssten aber „noch andere moderat angestiegene Kosten abgezogen werden“, heißt es von der Bundeswettbewerbsbehörde. Die berechneten Bruttomargen sind laut BWB branchenübliche Indikatoren, um die Änderung der Profitabilität bei Raffinerien darzustellen.

Angesichts der stark gestiegenen Benzin- und Dieselpreise sowie aufgrund von Eingaben und Beschwerden zur Mineralölbranche leitete die BWB am 21. März eine Branchenuntersuchung ein. Zuvor hatten unter anderem Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und SPÖ sowie FPÖ die Preispolitik der Mineralölkonzerne kritisiert. Kogler wies im März in einer Sachverhaltsdarstellung an die Wettbewerbsbehörde auf ein mögliches Marktversagen hin.

Die Kartellwächter versandten für die Branchenuntersuchung Auskunftsverlangen an OMV, ENI, Shell, BP und JET, weil sie Tankstellen in Österreich betreiben und Beteiligungen an Raffinieren halten. Außerdem führte die BWB Gespräche mit drei größeren Kraftstoffhändlern und größeren Tankstellenbetreibern, die nicht an Raffinieren beteiligt sind. Involviert in die Branchenuntersuchung waren auch der Bundeskartellanwalt und die E-Control.

In Reaktion auf die BWB-Branchenuntersuchung forderte die Arbeiterkammer (AK) am Donnerstag die Einleitung eines Preisüberprüfungsverfahrens nach dem Preisgesetz. „Die Mineralölunternehmen erzielen massive Übergewinne“, kritisierte AK-Präsidentin Renate Anderl in einer Aussendung. „Die Übergewinne müssen von der Bundesregierung abgeschöpft und den Verbraucherinnen und Verbrauchern wieder zurückgegeben werden“, so Anderl. Auch der ÖAMTC kritisierte, dass „allen voran die Raffinerien“ an den hohen Spritpreisen verdienen würden. „Es braucht eine rigorose Untersuchung dieser Fertigproduktmärkte durch die europäischen Wettbewerbsbehörden“, hieß es vom ÖAMTC. „Denn es kann nicht sein, dass Märkte, auf denen nur ein Bruchteil des europäischen Verbrauchs gehandelt wird, die Preise für ganz Europa dermaßen nach oben treiben können.“

Bei Tankstellen konnten die Wettbewerbshüter nur für März „Hinweise auf substantiell erhöhte Bruttomargen“ feststellen. In den Folgemonaten seien die Bruttomargen nur „noch leicht über ihrem Vorkriegsniveau“ gelegen. „Die Untersuchung auf Ebene der Tankstellen legt den Schluss nahe, dass ein fehlender Wettbewerb zwischen Tankstellen nicht die Ursache für die gestiegenen Tankstellenpreise ist, sondern die Ursache insbesondere die gestiegenen internationalen Preisnotierungen sind“, schreibt die BWB in ihrer Branchenuntersuchung.

Die Bundeswettbewerbsbehörde hat auch ein Praxisbeispiel durchgerechnet: Umgerechnet auf eine 50 Liter Tankfüllung hätten Konsumenten durchschnittlich in der ersten Juni Hälfte gegenüber der Zeit vor Beginn des Krieges alleine aufgrund des Anstiegs der Rohölpreise um 11 Euro netto mehr bezahlt, sowohl bei Diesel als auch bei Benzin. Zusätzlich würden die Konsumenten aufgrund der Steigerung der Bruttomargen 9,50 Euro bei einer Tankfüllung Diesel und 10,50 Euro bei einer Tankfüllung Benzin netto mehr zahlen. Die Mehrwertsteuer muss dann noch dazugerechnet werden.

Von der Branchenuntersuchung betroffene Marktteilnehmer können bis 27. Juli eine Stellungnahme zu den vorläufigen Ergebnissen der Untersuchung bei der BWB abgeben. Wenn man bei einer Branchenuntersuchung keine „gerichtsfesten Hinweise“ auf Kartellierung oder Marktmachtmissbrauch finde, könne man nicht unmittelbar strukturelle oder verhaltensbezogene wettbewerbsfördernde Auflagen anordnen bzw. beim Kartellgericht beantragen, hieß es von der Behörde. Das Instrument der Hausdurchsuchung stehe bei einer Branchenuntersuchung nicht zur Verfügung.

APA

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