„Rate der Regierung zu einer Klausur“

13. Juli 2022

Energiepreise. WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr vermisst einen Masterplan für den Herbst und mehr Anreize für das Energiesparen. Ein Mittel gegen die hohen Gaspreise wäre für ihn ein Nachfragekartell in der EU

In Wien tagte gerade der Nationale Sicherheitsrat wegen der aktuellen Probleme bei den Gaslieferungen, als Gabriel Felbermayr, Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) in St. Pölten bei der Veranstaltung „Wirtschaftsbund Inside“ zum selben Thema befragt wurde. Einer seiner Ratschläge an die Führungsspitze des Staates: „Ich würde der Regierung raten, setzt euch zusammen zu einer Klausur.“

Das Ergebnis müsste ein Masterplan für den Herbst sein, mit strategischen Leitlinien für die Wirtschaft und die Bevölkerung. „Es ist klar, dass man da auch eine gute, kluge Kommunikationsstrategie braucht, die mehr sein muss, als nur den Leuten zu sagen, im Winter wird es kalt.“ So kenne er zum Beispiel keine wirklichen Notfallpläne, falls das Gas nicht mehr fließt.

Im Vergleich werde in Deutschland von Minister Robert Habeck von den Grünen viel offensiver und klarer kommuniziert, auch wenn dort die Probleme für die Wirtschaft ähnlich sind und es ebenfalls noch keine richtige Planungssicherheit gebe. Dort wäre allerdings auch sehr rasch auf das Energiesparen im privaten Bereich hingewiesen worden.

Anreize zum Sparen

Felbermayr: „In Österreich sagt man den Privathaushalten, machts euch keine Sorgen, ihr seid sicher, dass die Wohnungen warm bleiben. Das muss aus sozialpolitischen Gründen so sein. Aber das heißt ja nicht, dass es keine Anreize für Einsparungen geben soll. Es gibt dazu ja Ideen.“

Für vernünftig hält er das Modell eines Energiesparbonus. Felbermayr: „Machen wir eine Art Wettbewerb. Wer die Gasrechnung vom letzten Jahr in der Menge um einen bestimmten Prozentsatz unterbietet, also weniger verbraucht als im vergangenen Jahr, bekommt den Bonus ausbezahlt.“ Es gehe um Anreize, dort Gas einzusparen, wo die Schmerzen gering seien. „Ob die Raumtemperatur nun 22 Grad oder 20 ist, macht natürlich einen Unterschied. Man braucht dann vielleicht einen Pullover. Aber damit kann man leben. Und die Mengen, die so frei werden, erlauben es uns vielleicht, Industriebetriebe im Frühjahr offen zu halten, für die es sonst kein Gas gäbe.“ Da hänge sehr viel dran. Etwa die Frage, wie viele Menschen wegen der Gasknappheit in Kurzarbeit geschickt werden müssten.

Wichtig ist für ihn, dass die Sozialleistungen bis hin zum Arbeitslosengeld angesichts der hohen Energiepreise und der damit verbundenen hohen Inflation vom Staat angepasst werden. Und man müsse klar kommunizieren, dass „der Durchschnitt der Österreicher ärmer wird“. Am schlimmsten würde es die Menschen mit kleinen Einkommen treffen, „weil die keine Ersparnisse haben“. Deshalb müsste diesen Menschen am meisten geholfen werden. Gleichzeitig müssten Strukturschäden in der Wirtschaft verhindert werden.

Kartell gegen Gaspreise

Gabriel Felbermayr würde auch eine europäische Lösung sehen, um der Teuerungsspirale bei den Gaspreisen zu entkommen. „Wir machen es wie die OPEC (Organisation erdölexportierender Länder). Die haben das Angebot kartelliert, wir machen das auf der Nachfrageseite. Wir kaufen gemeinsam Gas ein, deckeln gemeinsam den Gaspreis und sagen, ’wir zahlen nicht mehr als 80 oder 100 Euro pro Megawattstunde (Anm.: Preis liegt derzeit bei 180 Euro), und wenn du nicht verkaufen willst, dann lass es’. Das wäre das Risiko auf unserer Seite, Aber die Extraktionskosten in Russland sind sehr gering. Und statt gar kein Gas zu verkaufen, wäre ein Preis von 100 noch immer ein riesig gutes Geschäft. Nicht nur für Putin, sondern auch für alle anderen Gaslieferanten.“

Derzeit sei man einem Markt ausgeliefert, der „sehr, sehr schwankend ist, getrieben von Unsicherheit, Erwartungen und Spekulation“. Ein Nachfragekartell, „wenn man das gut macht“, könnte bedeuten, dass wir „am Ende weniger bezahlen und das Gas dennoch fließt“. Dass das in der EU noch nicht offensiver diskutiert wird, findet er schade: „Es gibt viele gute Ideen, die irgendwie kein Tempo kriegen.“ So hätten Wirtschaftsforscher, darunter auch er, statt des Öl-Embargos einen Zoll auf russisches Öl vorgeschlagen. Das wäre in Brüssel auf fruchtbaren Boden gefallen. Dennoch verkündete Präsidentin Ursula von der Leyen das Embargo.

Kurier

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