Türkis-schwarzer Deckelstreit

15. Juli 2022

Mehrere schwarze Landeshauptleute fordern eine Deckelung des Strompreises, Kanzler Nehammer ist noch strikt dagegen. Die Debatte offenbart Bruchlinien innerhalb der Volkspartei.

Noch gestalten sich die Angriffe indirekt: Es brauche angesichts der Energiekrise „Führungsqualitäten in der gesamten Bundesregierung“, sagte Johanna Mikl-Leitner am Montag: „Da nehme ich niemanden aus.“ Ohne es auszusprechen, ist damit allerdings klar, dass die niederösterreichische Landeshauptfrau (ÖVP) auch die türkise Bundespartei unter Kanzler Karl Nehammer meint.

Und mit ihrer inhaltlichen Forderung stellt sich Mikl-Leitner ohnehin frontal gegen den Parteichef: Ja, sie könne sich eine Deckelung des Strompreises vorstellen. „Selbstverständlich weiß ich, dass eine europäische Lösung gut, richtig und wichtig wäre. Aber ich gehe davon aus, dass das auf europäischer Ebene nicht so schnell realisierbar ist“, sagte die Landeshauptfrau.

Nehammer hingegen erklärte im Ö1-Morgenjournal am Dienstag: Eine Senkung der Preise sei „nur international“ sinnvoll. Die EU-Kommission solle hier „in die Gänge kommen“. Und die Meldungen schwarzer Landeshauptleute, die sich für einen Deckel ausgesprochen haben? Das „drückt einfach die Sorge aller aus, was hier rundherum um uns passiert“, glaubt der Kanzler.

Auch der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer und sein steirischer Amtskollege Christopher Drexler haben sich für einen Preisdeckel beim Strom ausgesprochen. Der Tiroler VP-Chef Anton Mattle zeigte sich offen dafür.
Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) will einen Preisdeckel „sehr ernsthaft diskutieren“. Es brauche aber unbedingt eine europäische Lösung, Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) müsse auf EU-Ebene Druck machen. Auf nationaler Ebene spricht sich der Salzburger Landeshauptmann für eine temporäre Deckelung, Halbierung oder Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Strom aus. „In besonderen Zeiten braucht es besondere Maßnahmen“, sagt Haslauer.

Mehr Kontakt zum Volk

Rebellieren da gerade die schwarzen Landesparteien gegen die Bundespartei? Offen will das niemand sagen, allgemein wird der Konflikt in der Volkspartei kleingeredet.

Die Erklärung aus den Landesorganisationen: Wer täglich im Land unterwegs ist, kennt die Sorgen und Probleme der Bevölkerung besser. Eine Volks-Partei, wie die Volkspartei eben eine sei, könne demnach auch gar nicht anders, als pragmatisch das zu fordern, was „die Leute“ wollen. Jedenfalls will man in den Ländern die Aussagen von Mikl-Leitner, Stelzer und Drexler nicht als „strategischen Angriff“ sehen.

Dass die Landesparteien mit der Forderung nach dem Preisdeckel vorpreschen, sei ja verständlich, sagt ein ÖVPler im Bund. Sie seien eben nicht dafür verantwortlich, die Idee auch sinnvoll und rechtssicher umzusetzen. Für die Erkenntnis, dass die hohen Strompreise ein Problem für die Bevölkerung seien, hätte man die Landeshauptleute nicht gebraucht. „Es wäre schon hilfreich, wenn jeder an den Schrauben dreht, die ihm zur Verfügung stehen“, sagt der Türkise in Richtung der Energieunternehmen, die den Ländern gehören. Mit dem Verbund sei das einzige Unternehmen, das beim Strompreis etwas weitergebracht habe, in Bundesbesitz.

Die vermeintliche Meinungsverschiedenheit sei nun jedenfalls bereinigt und erledigt. Und die Arbeit an einer wirklich umsetzbaren Lösung liege jetzt beim Finanzminister und bei den Wirtschaftsexperten.

Was auf der Hand liegt: Viele der schwarzen Ländervertreter haben derzeit gute Gründe für kantige Positionierungen. Christopher Drexler muss, frisch angelobt, in der Steiermark noch Sympathiepunkte sammeln. Anton Mattle, Obmann der Tiroler VP, stehen in Tirol Landtagswahlen bevor, er geht dabei als Spitzenkandidat ohne Amtsinhaberbonus ins Rennen.

Und Johanna Mikl-Leitner will 2023 als niederösterreichische Landeshauptfrau wiedergewählt werden. Die jüngsten Umfragen sind für die Volkspartei schmerzhaft. Die Tageszeitung Österreich ventilierte das Gerücht, dass Mikl-Leitner Nehammer stürzen wolle, um selbst Kanzlerin zu werden – das, versichert ein Sprecher, sei „blanker Unfug“.

Deckel bei der SPÖ beliebt

Auch die SPÖ-Landeshauptmänner diskutieren über Preisdeckel – wobei sie in dieser Frage wenig Konfliktpotenzial mit ihrer Bundespartei haben. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil forderte erneut einen Energie- und Spritpreisdeckel. Sein Kärntner Amtskollege Peter Kaiser hält einen Preisdeckel auf Strom für eine von mehreren Möglichkeiten. Ganz klar ist Parteichefin Pamela Rendi-Wagner: „Strompreisdeckel jetzt!“, fordert sie. Eine kalmierende Rolle nahm der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ein: Er forderte ein Ende des Hickhacks und einen „Preisgipfel“, um eine Entscheidung zu treffen. Kommentar Seite 24

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