Strom, Gas: Wem steht Grundversorgung zu?

12. August 2022, Wien

Energie. Das Recht auf Grundversorgung betrifft weitaus mehr Menschen als bisher angenommen.

Es gibt Gesetze, über deren genauen Inhalt und Tragweite denkt jahrelang kaum jemand nach. Weil nur wenige Menschen davon betroffen sind. Oder weil man das irrigerweise annimmt.

So war das wohl auch lange Zeit mit den Regelungen über die „Grundversorgung“ mit Strom und Gas. Sie basieren auf Unionsrecht, Haushalte und — je nach innerstaatlicher Umsetzung — auch Kleinunternehmen müssen demnach Zugang zu einem transparenten, angemessenen, nicht diskriminierenden Strom- bzw. Gastarif bekommen. Geregelt ist das in der Elektrizitäts- bzw. Erdgas-Binnenmarktrichtlinie und in den innerstaatlichen Umsetzungsgesetzen.
Aber wen kümmerte das schon, solang Energieanbieter einander im Wettbewerb um Neukunden mit Rabatten überboten? Nach günstigen Einstiegskonditionen musste man da nicht lang fragen. Verbraucherschützer klagten all die Jahre eher darüber, dass Haushalte aus Bequemlichkeit zu selten den Anbieter wechseln und die Chancen des liberalisierten Marktes zu wenig nützen würden. Eine praktische Rolle spielte die Grundversorgung nur für Menschen mit Zahlungsproblemen.

Neukunden im Nachteil
Das ist jetzt anders, die rasant steigenden Energiepreise haben dazu geführt, dass man, wenn man z. B. übersiedelt und einen neuen Vertrag braucht, für Strom und Gas oft sehr viel mehr zahlen muss als bisher — und damit auch viel mehr als das Gros der anderen Haushalte. Aber könnte man sich dann nicht ebenfalls auf die „Grundversorgung“ berufen? Und auf einen Tarif pochen, der in etwa dem entspricht, was die meisten Bestandskunden zahlen? Thematisiert wurde das in letzter Zeit immer wieder, allerdings eher nur als theoretisches Gedankenspiel.
Jetzt liegt jedoch ein Rechtsgutachten vor, das den Inhalt der Regelungen im Detail analysiert. Erstellt haben es die Grazer Rechtsanwälte Stefan Schoeller und Daniel Heitzmann, in Auftrag gegeben hat es die Energo Energiedienstleistungen GmbH, laut Eigendefinition ein Energiepool, der auf die gemeinschaftliche Anschaffung von Strom und Gas spezialisiert ist. Dieser hat es sich, wie es in einer Aussendung des Geschäftsführers Florian Kanzler heißt, zum Ziel gesetzt, den Grundversorgungstarif „allgemein zugänglich“ zu machen und die Interessen der Kunden zu vertreten.

„Die Presse“ hatte Einblick in das Gutachten. Die Rechtslage in Österreich ergibt sich demnach für Strom aus dem Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 (ElWOG) und den darauf aufbauenden Ausführungsgesetzen der Länder, für Gas aus dem Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG).

Konkret müssen Stromhändler und sonstige Lieferanten, die Haushaltskunden versorgen, einen „Allgemeinen Tarif der Grundversorgung“ veröffentlichen, der laut § 77 ElWOG nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem „die größte Anzahl ihrer Kunden, die Verbraucher (. . .) sind, versorgt werden“. Zu diesem Tarif müssen sie Verbraucher und Kleinunternehmen beliefern, wenn diese sich ihnen gegenüber darauf berufen.

Für die Autoren des Gutachtens ist damit klar: Verbraucher und Kleinunternehmen (mit weniger als 50 Beschäftigten, einem jährlichen Stromverbrauch unter 100.000 kWh und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens zehn Mio Euro), sind zur Grundversorgung berechtigt, wenn sie sich gegenüber dem Stromhändler oder dem sonstigen Lieferanten darauf berufen. Der Lieferant kann dabei eine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung bis zu einem Monatsteilbetrag verlangen. Sonstige Anspruchsvoraussetzungen gebe es im Bundes-ElWOG jedoch nicht.
Auf den ersten Blick sei das bemerkenswert, halten die Gutachter fest, „weil die unionsrechtlichen Vorgaben (. . .) eindeutig zum Ziel haben, ,schutzbedürftige Kunden‘ zu unterstützen und damit ,Energiearmut‘ zu bekämpfen“. Diese Zielrichtung finde sich jedoch im Bundes-ElWOG nicht. Ob ein Verbraucher (bzw. Kleinunternehmen) schutzbedürftig ist, z. B. weil er keinen anderen Stromanbieter findet oder verschuldet ist, spielt laut dem Bundesgesetz keine Rolle, „die Schutzwürdigkeit darf nicht geprüft werden.“

Länder zum Teil restriktiver
Selbst der Versuch einer unionsrechtskonformen Interpretation kann laut dem Gutachten daran nichts ändern: Denn der Gesetzeswortlaut sei „eindeutig und nicht durch Interpretation veränderbar“. Und dass die Vorgaben übererfüllt wurden („Gold Plating“), ändere nichts an der rechtlichen Wirksamkeit.

Aber was besagen die Ausführungsgesetze der Länder? In der Steiermark, in Oberösterreich und in Tirol normieren sie keine weiteren Voraussetzungen, hier könnten sich demnach tatsächlich alle Haushalte und Kleinunternehmen auf die Grundversorgung berufen.

Anders ist das in den übrigen Bundesländern. So kann ein Stromhändler/-versorger/-lieferant im Burgenland, in Niederösterreich, Salzburg und Wien den Vertragsabschluss im Rahmen der Grundversorgung ablehnen, wenn ein anderer „zum Vertragsabschluss bereit ist“. Dasselbe gelte in Vorarlberg, aber nur, wenn der Tarif, den der andere Versorger dem Kunden anbietet, günstiger ist. Wobei die Autoren auch zum Schluss kommen, dass ein Kunde, der um die Grundversorgung anfragt, nicht selbst beweisen muss, dass er andernfalls gar nicht beliefert würde. Vielmehr liege es am Stromversorger, den Kunden gegebenenfalls an einen anderen Anbieter zu verweisen, der — zu marktüblichen Konditionen — zum Vertragsabschluss mit ihm bereit ist.

Beim Gas stellt sich die Sache deutlich einfacher dar: Dort regelt § 124 Gaswirtschaftsgesetz (GWG) die Grundversorgung. Erdgashändler/-versorger seien demnach in ganz Österreich verpflichtet, jeden Verbraucher oder Kleinunternehmer mit Erdgas zum Grundversorgungstarif zu beliefern, wenn sich dieser auf die Grundversorgung beruft. Die Schutzwürdigkeit spiele dabei keine Rolle.

Dass es manche Anbieter aus wirtschaftlicher Sicht vor Probleme stellen könnte, sollten sich tatsächlich immer mehr Stromkunden in der Steiermark, Oberösterreich und Tirol und immer mehr Gaskunden österreichweit auf die Grundversorgung berufen, steht auf einem anderen Blatt. Das Thema könnte also durchaus noch für Kontroversen gut sein.

Wobei der Vorteil durch den Grundversorgungstarif im Lauf der Zeit auch etwas abnehmen könnte: Denn durch wiederholte Tarifanpassungen zahlen auch Bestandskunden immer mehr für Strom und Gas. Die Frage ist dann, ob die Tarife für Neuverträge noch genauso stark ansteigen werden.

Von Christine Kary

Die Presse