Bulgarien setzt auf russisches Gas

22. August 2022, Sofia

Energie. Die neue Übergangsregierung legt eine Kehrtwende in der Energiepolitik ein und will wieder mit der russischen Gazprom über neue Lieferverträge verhandeln. Es kommt zu Protesten.
Von Thomas Roser

Erst seit Monatsbeginn ist Bulgariens neue Übergangsregierung im Amt. Doch in Sofia mehren sich bereits jetzt die Sorgen prowestlicher Politiker vor einer energiepolitischen Rolle zurück in die Arme der russischen Gazprom. Das im April vom russischen Gaslieferstopp getroffene Bulgarien sucht also wieder die Nähe zur Gazprom.
Erneut rufen prowestliche Bürgerrechtsgruppen und Parteien am Mittwoch zu Protesten vor dem Regierungssitz in Sofia gegen die befürchtete Kehrtwende auf. Ihr Vorwurf: Die von Präsident Rumen Radew zu Monatsbeginn eingesetzte Übergangsregierung von Interimspremier Galab Donew wolle Bulgarien erneut an den russischen Erdgastropf anschließen und abhängig machen.

„Wir lassen uns nicht erpressen“, hatte der damalige prowestliche Premier Kiril Petkow (PP) im Frühjahr auf den russischen Gaslieferstopp reagiert — und die von Moskau geforderte Bezahlung in Rubel resolut abgelehnt. Mit den USA verständigte er sich hernach auf die günstige Lieferung von Flüssiggas, mit Aserbaidschan über Gaslieferungen via Griechenland sowie mit Athen über die beschleunigte Fertigstellung der Erdgasverbindungsleitung beider Staaten.

Neuwahlen im Oktober
Doch im Juni stolperte der Chef einer wenig homogenen Vierparteienkoalition nach einem halben Jahr vorzeitig über ein Misstrauensvotum — und musste somit aus dem Amt scheiden. Die erst seit zwei Wochen amtierende Übergangsregierung, die die erneuten Neuwahlen am 2. Oktober vorbereiten soll, tauscht nicht nur in den Behörden konsequent die Gefolgsleute des gescheiterten Reformpremiers aus. Auch alle von Petkow vereinbarten Gasdeals werden von Sofias neuen Interimsmachthabern überprüft und stehen nun auf der Kippe.

Für das von ihm ausgemachte „Chaos“ auf dem Energiemarkt macht der neue Premier Donew die Vorgängerregierung verantwortlich. Alle möglichen Gasbezugsquellen würden „auf dem Tisch“ liegen „einschließlich Gazprom“, schließt derweil Interims-Energieminister Rosen Hristow neue Verhandlungen mit dem russischen Erdgasgiganten keineswegs mehr aus. Weniger die auf dem Markt verfügbaren Liefermengen als deren Preis sei das Problem: „Wenn wir fünf Mal mehr bezahlen, haben wir so viel Gas, wie wir wollen. Aber wir benötigen Gas, das die Leute bezahlen können.“

Gas als „geopolitische Waffe“
Der frühere Energieminister Alexander Nikolow argwöhnt hingegen mit Blick auf die im Juli fertiggestellte, aber von Sofia noch stets nicht zugelassene Erdgasverbindungsleitung nach Griechenland, dass das Interimskabinett bewusst die Vereinbarungen der Vorgängerregierung „sabotiere“, um das Land erneut von russischen Gaslieferungen abhängig zu machen. Wenn der sogenannte Connector nicht rechtzeitig in Betrieb genommen werde, drohe Bulgarien gegenüber seinen Partnern in Aserbaidschan und Griechenland in eine „schwierige Lage“ zu geraten: Dann dürfte Russland als „der große Retter aus dem Nordosten“ zum Zuge kommen.

Wenn die neue Gasverbindung nicht bis September in Betrieb genommen werde, müsse von einer „Verspätung mit Absicht“ gesprochen werden, so Ex-Premier Petkow. Ganz Europa sei auf der Suche nach alternativen Bezugsquellen, aber Bulgarien mache sich daran, sich in alte „Abhängigkeiten“ zu begeben, ärgerte sich der frühere Parlamentarier Martin Dimitrow von der prowestlichen DB. Gazprom sei nicht nur ein Gaslieferant, sondern auch „die geopolitische Waffe Russlands“, warnt DB-Chef Hristo Iwanow.

Kaum beeindruckt von den Protesten zeigt sich indes Interims-Energieminister Hristow. In der nächsten Woche hofft er eine Analyse von Bulgariens Gasbedarf für den Winter und des von der heimischen Industrie bezahlbaren Preises vorzulegen: „Und dann werden wir endgültig entscheiden, über welche Mengen wir mit Gazprom zu verhandeln haben.“

Die Presse

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