Auf der Suche nach dem Strompreisdeckel

31. August 2022

Energiepolitik. Regierung sieht die EU gefordert: Der Strom- soll vom Gaspreis entkoppelt werden. Beim Energiegipfel im Kanzleramt ging es um Details, wie die Strompreisbremse in Österreich umgesetzt werden kann

Jetzt soll es schnell gehen.

Weil die Großhandelspreise für Strom und Gas sich wegen des geltenden Merit Order-Prinzips in der EU (siehe Grafik) in noch nie da gewesene Höhen für Industrie wie Private katapultieren.
Weil der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Russland-Sanktionen fortdauern, die Heizperiode in wenigen Wochen beginnt und nicht zuletzt, weil Österreichs wichtigster Handelspartner Deutschland aufhorchen lässt. Laut Handelsblatt soll ein Grundprinzip des heutigen Strommarkts außer Kraft gesetzt werden – die Gaskraftwerke sollen nicht länger den Preis bestimmen.

„Profit-Autopilot“

Nach dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck forderte nun auch der liberale Finanzminister Christian Lindner (FDP) in der Bild am Sonntag einen Eingriff in den Markt. „Die Bundesregierung muss sich mit größter Dringlichkeit den Strompreisen widmen“, andernfalls werde „die Inflation immer stärker durch eine Stromkrise angetrieben“. ( Juli-Inflation lag in Deutschland bei 7,5%, in Österreichs bei 9,3%). Da von der Merit Order auch Windrad-, Solaranlagen- und Kohlekraftwerksbetreiber profitieren, habe die Politik am Strommarkt „einen Profit-Autopiloten eingerichtet“.
In die gleiche Kerbe schlägt nun Österreichs Regierung – sieht dabei aber insbesondere die EU gefordert. „Es ist fünf nach 12 an den Energiemärkten. Man muss den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln“, lässt Kanzler Karl Nehammer vor dem abendlichen Treffen am Sonntag mit Vertretern der Energiewirtschaft (u. a. Verbund-Chef Michael Strugl, E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch, Wien Energie-Chef Michael Strebl) wissen. Man müsse den „Irrsinn“ stoppen, da sich der Markt nicht selbst reguliere. Zudem dürfe man nicht zulassen, dass Putin über Europas Strompreis entscheide.

Nicht zuletzt deshalb habe der Kanzler vermehrt Gespräche mit Energieexperten und Regierungschefs wie Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz und Tschechiens Premierminister Petr Fiala
(EU-Vorsitzland) geführt. Nehammer fordert, um die Krise einzudämmen und die europäische Wirtschaft zu retten, „einen Schulterschluss“ aller EU-27-Mitgliedsstaaten.
Dass Länder wie Frankreich, Spanien oder Portugal unabhängig einer etwaigen Entscheidung auf EU-Ebene bereits einen nationalen Preisdeckel eingezogen haben, das bleibt in der Aussendung des Kanzlers unerwähnt. Ebenso wie Details zur Merit-Order-Umstellung.

Preismodell im August?

Unklar ist weiterhin, wie die von der türkis-grünen Regierung bis Monatsende avisierte Strompreisbremse für Österreich ausgestaltet sein und funktionieren wird. Technische Details würden gegenwärtig diskutiert, heißt es aus Verhandlerkreisen, zu denen auch Finanzminister Magnus Brunner, Wirtschaftsminister Martin Kocher, Umweltministerin Leonore Gewessler sowie die Klubobleute August Wöginger und Sigrid Maurer gehören.

Gegenfinanzierung

Konkrete Vorschläge unterbreiteten indes vor dem Energiegipfel im Bundeskanzleramt Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB). AK und ÖGB fordern von der Regierung die Einführung einer Sondersteuer auf Übergewinne von Energiekonzernen. So sollen zwischen 1,5 und 2,2 Milliarden Euro pro Jahr zur Finanzierung von Anti-Teuerungsmaßnahmen lukriert werden. Das AK/ÖGB-Modell sieht eine Abschöpfung von 60 bis 90 Prozent der Übergewinne vor. Übergewinne werden dabei als Gewinne definiert, die über den durchschnittlichen Referenzgewinn der Jahre 2019 bis 2021 hinausgehen. Als Basis dient der Unternehmensgewinn vor Abschreibungen, Finanzergebnis und Steuern. Investitionen in erneuerbare Energien im Inland könnten sofort und vollständig vom Übergewinn abgezogen werden.

Kurier

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