Gaslieferungen über Nord Stream 1 gestoppt

31. August 2022, Berlin

Russland hat die schon seit Monaten stark gedrosselte Gaslieferung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland am Mittwoch wie angekündigt gestoppt. Nach Angaben auf der Website der Nord Stream AG ist in der Zeit zwischen 03.00 bis 04.00 Uhr keine nennenswerte Menge mehr geflossen. Bereits in der Stunde davor war sie demnach gesunken.

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Der russische Staatskonzern Gazprom hatte angekündigt, dass die Pipeline vom 31. August bis 2. September wegen Wartungsarbeiten geschlossen werde. Am Mittwoch teilte Gazprom in der Früh im Nachrichtenkanal Telegram mit, „die Versorgung über Nord Stream wurde komplett eingestellt“. Es würden nun planmäßige Wartungsarbeiten an einer Kompressorstation beginnen.

Laut Gazprom muss die einzig noch verbliebene Turbine in der Kompressorstation Portowaja, die der Pipeline vorgelagert ist, gewartet werden. Der Chef der deutschen Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte hingegen gesagt, die Wartungsarbeiten seien technisch nicht nachvollziehbar. Er halte Verweise auf Turbinen von Siemens Energy für vorgeschoben. Russland hatte auch im Zusammenhang mit der Drosselung der über die Leitung gelieferten Menge auf fehlende Turbinen verwiesen. Zuletzt kamen nur noch etwa 20 Prozent der maximal möglichen Menge über die Pipeline. Zweifel an der Begründung für die Drosselung kommen etwa von der deutschen Regierung.

Der Gasturbinen-Hersteller und Gazprom-Lieferant Siemens Energy ist nach eigenen Angaben nicht an den Arbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 beteiligt. „Siemens Energy ist an den aktuell von Gazprom durchgeführten Wartungsarbeiten an der Nord Stream 1 Pipeline nicht beteiligt. Unsere Experten stehen dem Unternehmen jedoch bei Bedarf beratend zur Verfügung“, erklärte eine Sprecherin des Unternehmens am Mittwoch.

Trotz westlicher Sanktionen hat Gazprom im ersten Halbjahr nach eigenen Angaben einen Rekordgewinn eingefahren. Es sei ein Reingewinn von 2,5 Billionen Rubel erzielt worden – das sind umgerechnet 41 Mrd. Euro. Der Staatskonzern verwies via Telegram darauf, dass das Ergebnis trotz Strafmaßnahmen wegen des Ukraine-Kriegs gegen Russland und eines „ungünstigen Umfelds“ erzielt worden sei. Gazprom werde nun jedem Aktionär pro Anteilsschein 51,03 Rubel zahlen. Noch im Frühjahr hatte der Energieriese die Erwartungen für 2022 gedämpft.

Kremlsprecher Dmitri Peskow hat am Dienstag noch einmal versichert, dass Russland ein zuverlässiger Lieferant und gewillt sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er begründete die derzeitigen Lieferkürzungen mit technischen Problemen, die der Westen durch seine Sanktionen selbst verursacht habe. Einen politischen Hintergrund der anstehenden Lieferpause dementierte er damit.

Es gilt zumindest als wahrscheinlich, dass das Gas ab dem 3. September wieder fließt. Nach der letzten Abschaltung wegen Wartungsarbeiten im Juli hat Gazprom anschließend auch den Transit wieder aufgenommen. Das unabhängige Internet-Medium „The Bell“ erklärte schon damals die dahinter stehende Logik damit, dass der Kreml sich anderenfalls der eigenen Flexibilität berauben würde. Auch bei gedrosselter Lieferung könne Russland immer noch mit einer weiteren Kürzung der Lieferungen drohen. Beim Lieferstopp sei das Drohpotenzial passé.

Darüber hinaus würde die vollständige Abkapselung vom europäischen Markt auch empfindlich auf den russischen Haushalt durchschlagen. Derzeit ist Moskau in der bequemen Lage, dass es trotz physisch geringerer Liefermengen wegen hoher Preise finanziell mehr aus dem Export herausschlägt. Ein weiterer Grund, der für die Beibehaltung des Transits – zumindest in geringem Umfang – spricht: Ansonsten müsste Gazprom seine Förderkapazitäten stilllegen und konservieren. Eine Umleitung der Gasströme nach Asien in großem Umfang ist nicht möglich, da das Pipelinesystem in diese Richtung noch kaum entwickelt ist. Von den 720 Mrd. Kubikmeter, die Russland fördert, gehen gut 200 Mrd. in den Export, davon 130 Mrd. Kubikmeter in den EU-Raum.

China etwa nimmt hingegen nur gut 10 Mrd. Kubikmeter ab, auch wenn die Umsätze in die Richtung steigen. Auch deswegen fackelt Russland die Gasmengen ab, die es nicht nach Europa liefern kann.

Zwar hat Gazprom bisher noch keinen neuen Termin für die nächste Abschaltung genannt. Doch laut dem Konzern muss die letzte verbliebene Turbine in der Kompressorstation Portowaja alle 1.000 Arbeitsstunden gewartet werden. Damit dürfte Mitte Oktober der nächste Stopp anstehen.

Die Speicherbetreiber rechnen damit, dass auch ohne russisches Gas weiterhin Erdgas in Deutschland eingespeichert werden kann, gegebenenfalls in leicht reduziertem Umfang. Der Branchenverband Initiative Energien Speichern (INES) verweist dazu auf die tägliche Speichermenge: Sie beträgt derzeit ein Mehrfaches dessen, was zuletzt durch die Ostseepipeline nach Deutschland kam.

Die deutschen Speicher waren zuletzt zu über 83 Prozent gefüllt. In den kommenden Tagen dürfte die 85-Prozent-Marke erreicht werden, rund vier Wochen vor dem Stichtag 1. Oktober. Am 1. November sollen die Speicher dann zu mindestens 95 Prozent gefüllt sein. Der Speicherverband nennt dieses Ziel „herausfordernd“. Und: „Bei einem kompletten Ausfall von Nord Stream wäre es noch ein bisschen schwerer, das zu erreichen“, sagt Verbandsgeschäftsführer Sebastian Bleschke.

Gasmarktexperte Heiko Lohmann vom Energieinformationsdienst Energate rechnet nicht damit, dass sich die Wartungsarbeiten noch groß auswirken werden. Als die Wartung angekündigt wurde, seien die Preise nach oben gegangen. Daher sei die Wartung schon „eingepreist“. „Die spannende Frage ist, was nach den drei Tagen passieren wird“, sagt Lohmann. Er geht davon aus, dass die Preise wieder nach oben gehen, wenn die Lieferungen nicht wiederaufgenommen werden. Umgekehrt sieht er noch „Luft nach unten“, sollten die Lieferungen nach der Wartung fortgesetzt werden.

Noch im Mai war die Pipeline nahezu jeden Tag ausgelastet. Anfang Juni gingen die Liefermengen schrittweise zurück. Vom 17. Juni an lagen sie bei 40 Prozent der Maximalkapazität. Nach der zehntägigen Wartung im Juli lag die Liefermenge für ein paar Tage wieder bei 40 Prozent, um dann ab dem 28. Juli auf rund 20 Prozent gedrosselt zu werden.

Das Wort „Vertragsbruch“ mögen wichtige Akteure nicht in den Mund nehmen. So berichtete Uniper als Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas jüngst: „Seit dem 14. Juni erhält Uniper nur einen Teil der vertraglichen Gasliefermengen aus Russland.“ Es würden mittlerweile 80 Prozent weniger geliefert. Und das deutsche Wirtschaftsministerium teilt auf Anfrage mit: „Es bestehen Verträge der Unternehmen mit Gazprom über die volle Kapazität, die werden derzeit nur bedingt eingehalten. Aus unserer Sicht besteht kein Anlass, auch nicht technisch, die Nord Stream 1 nicht höher auszulasten.“

APA/dpa

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