Gazprom zahlt Rekorddividende

6. September 2022

Russland kratzt seine Reserven zusammen, der Staat erhält Milliarden. Die könnten Gazprom an anderer Stelle fehlen.

Russlands Staatsführung dreht ihren Kurs um 180 Grad und holt sich nun Milliarden vom Gazprom-Konzern für ihren Haushalt: Nachdem Ende Juni noch vollkommen überraschend Dividendenzahlungen des Gazprom-Konzerns auf der Hauptversammlung des staatlich kontrollierten Gaskonzerns verhindert wurden, sollen jetzt Rekordausschüttungen für das erste Halbjahr erfolgen.

Umgerechnet 20 Milliarden Euro und damit die Hälfte seines auf einen Rekordwert angeschwollenen Nettogewinns soll der weltgrößte Gasförderer nun in Form von Dividenden auszahlen. Noch nie hat Gazprom Zwischendividenden ausgeschüttet. Der Gewinn war wegen des auf bisher ungeahnte Höhen gestiegenen Gaspreises nach oben geschnellt.
Die Auszahlung hat der Gazprom-Vorstand am späten Dienstagabend vorgeschlagen und eine außerordentliche Hauptversammlung für Ende September einberufen. Vorstandschef ist der langjährige enge Vertraute von Russlands Präsident Wladimir Putin, Alexej Miller. Gut 50 Prozent der Aktien des Konzerns besitzt der Staat – er bekäme so umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro direkt von Gazprom bei einer Dividendenrendite von etwa 25 Prozent.
Unter dem Strich stand im ersten Halbjahr ein Ergebnis von 2,5 Billionen Rubel (umgerechnet 41,6 Milliarden Euro), wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte. Im Gesamtjahr 2021 erzielte Gazprom 2,1 Billionen Rubel (rund 27,5 Milliarden Euro) Gewinn. Nach Verhängung westlicher Sanktionen und dem Einfrieren von gut der Hälfte der russischen Währungsreserven im Ausland klaffen im Staatsbudget trotz der Rekord-Exporterlöse immer größere Lücken. Der Staat hat zunehmend Schwierigkeiten, alle wichtigen Steuern einzutreiben, und aus Russland abgezogene ausländische Firmen fallen als zuverlässige Steuerzahler aus.
Nach Schätzungen des russischen Finanzministeriums wird der Staatshaushalt bis mindestens 2025 ein erhebliches Defizit aufweisen. Allein in diesem Jahr werden die Staatsausgaben die Einnahmen um 1,7 Billionen Rubel (umgerechnet 28,3 Milliarden Euro) übersteigen, in den darauffolgenden Jahren mit abnehmender Tendenz ebenso.

Russland will Staatsanleihen nach China verkaufen
Das Finanzministerium plant, das Loch fast ausschließlich durch Anleihen in Rubeln zu stopfen: Diese sollen von einer Billion Rubel (16,6 Milliarden Euro) im nächsten Jahr auf 1,4 Billionen im Jahr 2024 und 2,4 Billionen im Jahr 2025 ansteigen. Westliche Investoren, die vor dem Krieg ein Fünftel aller föderalen Anleihen und die Hälfte der Fremdwährungsanleihen des Finanzministeriums hielten, können sie nicht mehr zeichnen: Durch die westlichen Sanktionen ist der Kauf von russischen Staatsanleihen verboten.

Nun bemüht sich das Moskauer Finanzministerium nach sechs Jahren gescheiterter Versuche, in der chinesischen Währung Renminbi laufende Anleihen bei Chinesen zu verkaufen und so Geld nach Russland zu holen.
Wie dramatisch die Haushaltslage entgegen allen Aussagen Putins, Russland prosperiere wirtschaftlich, ist, zeigt auch eine Entscheidung des russischen Pseudo-Parlaments Duma: Die Abgeordneten entschieden, dass Gazprom einmalig die Steuer zur Förderung von Rohstoffen um 1,2 Billionen Rubel erhöht wird – also der Summe der für das Gesamtjahr 2021 nicht gezahlten Dividenden. Russlands Regierung schöpft also inmitten des Krieges mit der Ukraine bei Gazprom gezielt besonders schnell Milliarden für den Haushalt ab.

Gazprom-Vize Famil Sadigow begründete den Vorstandsbeschluss zur Dividendenzahlung mit den „starken Finanzergebnissen und der beträchtlichen Liquiditätsreserve in der Bilanz“. Gazprom habe vor, „auch in Zukunft an der aktuellen Dividendenpolitik festzuhalten und mindestens 50 Prozent des bereinigten Nettogewinns auszuschütten“.
Ob die ausländischen Aktionäre, die ihre Anteilsscheine aktuell wegen der Sanktionen nicht handeln können, auch vom Milliardenregen profitieren, ist offen. Maxim Orlowskij, Geschäftsführer der Investmentbank Renaissance Capital, wies darauf hin, dass die russische Zentralbank das Verfahren zur automatischen Umwandlung von Hinterlegungsscheinen in Aktien bis zur Auszahlung der Dividende abschließen werde. Am 26. August teilte die Aufsichtsbehörde auf ihrer Website mit, dass noch eineinhalb Monate für die Änderung des Rechnungslegungsortes für im Ausland gehaltene russische Wertpapiere bleiben. Ausländische Aktionäre hatten keine Gazprom-Aktien gekauft, sondern von US-Banken hinterlegte Anrechtsscheine (ADR). Wegen der Sanktionen sind US-Institute aber dabei, die Verwahrung von ADR zu beenden. 16,2 Prozent der Gazprom-Aktien sind in ADR-Hinterlegungsscheine gewandelt.
Die Dividendenentscheidung wird zwiespältig bewertet: Orlowskij erwartet für die gesamte russische Wirtschaft einen Schub durch Gazproms Geldsegen, eine „starke Unterstützung“ für den gesamten Markt: Die Entscheidung belebe die Moskauer Börse und sei Kaufkraft für das Land, in dem der private Konsum besonders stark gesunken ist.

Für China-Expansion könnte das Geld fehlen
Gazprom sei mächtig unter Druck, meint Sergej Kaufmann, Analyst der Finam Financial Group in Moskau: „Ohne Dividenden, ohne Exporte nach Europa und ohne den Beginn umfangreicher Lieferungen nach China ist Gazprom leider keine interessante Geschichte mehr“ für einen Investor. Gazprom habe keine Zeit, sich nach China umzuorientieren, aber seine Exporte nach Europa sind bereits stark zurückgegangen.

Dadurch, dass der Staat nun die Finanzreserven des Konzerns in Form von Dividenden stark abschöpft, fehlt dem Konzern das Geld, um Pipelines nach China zu bauen oder Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas (LNG) für den Export. „Der Bau der Pipelines nach Asien und der LNG-Anlagen könnte insgesamt 100 bis 150 Milliarden Dollar kosten, wenn Auftragnehmer gefunden werden. Und wenn es schnell gehen muss, wird es noch teurer. Dementsprechend kann das Geld, das Gazprom 2021 verdient hat und in diesem Jahr verdienen wird, hier gebraucht werden“, sagte Eduard Charin, Leiter der Aktienabteilung von Alfa Capital Management. Nun geht das Geld größtenteils in die Staatskasse.
Von Mittwoch an wird vorerst kein Erdgas mehr durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 fließen, gab Gazprom bekannt. Begründet wurde dies mit angeblich nötigen Wartungsarbeiten. Allerdings stünden Gazprom vor Ort genügend Turbinen zum Betrieb der Pipeline zur Verfügung, und es seien sechs Turbinen fertig in Kanada gewartet bei Siemens Energy bereit zur Auslieferung nach Russland, hieß es in deutschen Wirtschaftskreisen. Moskau lasse den Rücktransport derzeit nicht zu, erhalte so die Mär von „technischen Problemen“ der Ostsee-Gasleitung aufrecht.
Zugleich gab Gazprom bekannt, kein Erdgas mehr an den französischen Versorger Engie zu liefern: „Gazprom wird die Gaslieferungen an das französische Energieunternehmen Engie ab dem 1. September aussetzen, da die Lieferungen für Juli nicht bezahlt wurden“, teilte das russische Unternehmen auf seinem Telegram-Kanal mit.

Engie hatte bisher rund 150 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Monat von Gazprom bezogen. Russisches Gas deckte etwa 17 Prozent des französischen Bedarfs.

Handelsblatt