Zeit Österreich

9. September 2022

Die Informationen der Wien Energie, die zu uns gekommen sind, waren katastrophal. Das war nicht zufriedenstellend«
Was ist beim Stromversorger in der Hauptstadt passiert, und wie kann man sich als kleiner Koalitionspartner durchsetzen? Der Wiener Vizebürgermeister über Transparenz, demokratiepolitische Probleme und fehlende Kontrollmöglichkeiten

DIE ZEIT: Herr Wiederkehr, vergangene Wochewurde bekannt, dass die Wien Energie wegen ¬ihrer Stromgeschäfte dringend zusätzliches Geld benötigt. Können Sie verstehen, dass manche Angst hatten, die Lichter in Wien könnten ausgehen?
Christoph Wiederkehr: Absolut. Es machen sich derzeit ohnehin viele Menschen Sorgen darüber, wie sie ihre nächste Stromrechnung bezahlen sollen. Dann eine Debatte darüber zu führen, dass Wien Energie bis zu zehn Milliarden Euro brauchen könnte – oder eine andere Summe, es standen ja unterschiedliche Zahlen im Raum –, das verunsichert die Bevölkerung und führt zu einem Vertrauensverlust in die Energieversorgung, aber auch in die Stadtregierung.

ZEIT: Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt, der Bund hat einen Kreditrahmen von zwei Milliarden Euro genehmigt. Ist alles wieder gut?
Wiederkehr: Nein, das war ein katastrophales Krisenmanagement der Wien Energie. Relevante Informationen wurden nicht aktiv an die Öffentlichkeit kommuniziert. Der Rechnungshof prüft nun das Unternehmen – und wird klären, ob die Termingeschäfte in Ordnung waren oder ob nicht doch zu viel Risiko eingegangen wurde.

ZEIT: Wann haben Sie das erste Mal von der Schieflage erfahren?
Wiederkehr:Kurz vor der ZiB 2 am Sonntagabend. Meine eigenen Abgeordneten haben davor Gerüchte gehört und mich informiert. Das ganze Ausmaß habe ich aber erst aus den Medien erfahren.

ZEIT: Haben Sie mittlerweile Einblick in die Geschäfte der Wien Energie? Wissen Sie, in welchem Umfang das Unternehmen an der Leipziger Strombörse Termingeschäfte getätigt hat?
Wiederkehr: Nein, das ist aber auch nicht meine Aufgabe, sondern die der Unternehmensführung, die diese Geschäfte durchführt, und des Aufsichtsrats, dem gegenüber sie auskunftspflichtig ist. Und jetzt gibt es eine unabhängige Untersuchung, die aber nicht ich, als Vizebürgermeister Wiens, durchführe. Ich muss sicherstellen, dass es sie gibt.

ZEIT: Fühlen Sie sich als Neos in dieser Koali¬tion eigentlich gut eingebunden?
Wiederkehr: In den Verhandlungen über den Kreditrahmen mit dem Bund, ja. Aber die In-formationen der Wien Energie, die zu uns ¬gekommen sind, waren katastrophal. Das war nicht zufriedenstellend.

ZEIT: Wie lässt sich das verbessern?
Wiederkehr: Die Kontrollmechanismen müssen verstärkt werden. Vor allem gegenüber den ausgelagerten Unternehmen im städtischen Eigentum, da hat der Gemeinderat relativ wenige oder fast keine Kompetenzen.

ZEIT: Sie meinen etwa die Wien Holding?
Wiederkehr: Genau. Der Gemeinderat kann derzeit keine Prüfanfragen gegenüber den Unternehmen in der Holding stellen. Sie sind außerhalb des Kontrollbereichs des Gemeinderates. Das ist demokratiepolitisch problematisch.

ZEIT: Vielleicht war das bei der Auslagerung auch Absicht?
Wiederkehr: In der Stadt wurde schon öfter über Prüfrechte diskutiert, aber bislang ist es keiner Koalition gelungen, sie auch durchzusetzen. Ich finde, wenn ein Unternehmen im Eigentum der Stadt steht, sollte es vom Gemeinderat als höchster Instanz kontrolliert werden können.

ZEIT: Der Wiener Bürgermeister kann, wie im Fall Wien Energie, per Notverordnung eigenhändig und ohne jemanden vorher darüber zu informieren, Kreditzusagen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro machen. Ist das zeitgemäß?
Wiederkehr: Das Amt des Wiener Bürgermeisters ist bestimmt eine der mächtigsten Funk-tionen der Republik, mit weitreichenden Kom¬petenzen. Ich finde, bei solchen Summen sollte darüber informiert werden. Aber der Bürgermeister hat diese Entscheidung im Rahmen ¬seiner rechtlichen Möglichkeiten getroffen.

ZEIT: Sie regieren in Wien seit 20 Monaten als Juniorpartner der SPÖ. Wie schwierig ist es, sich durchzusetzen?
Wiederkehr: Man muss stark für seine Interessen kämpfen. Aber wir haben in unseren Kernthemen viel vorangebracht. Wir haben ein Fördertransparenzgesetz beschlossen, eine Whistleblowing-Plattform gegründet und arbeiten an einer Reform des Stadtrechnungshofs. Auch in meinem Bereich, bei der Bildung, ist viel gelungen, wir haben Schulen und Kindergärten gestärkt.

ZEIT: Inwiefern?
Wiederkehr: Es ist Montag, der erste Schultag nach den Sommerferien, und seit heute gibt es zum Beispiel in den Wiener Kindergärten doppelt so viele Assistenzkräfte wie vorher. Wir investieren drei Milliarden Euro in die Wiener Kindergärten und Schulen, so viel wie noch nie. Wir wissen aus Studien, dass es einer der effektivsten Hebel ist, Sekretariate einzurichten, die sich um administrative Aufgaben kümmern. Die gibt es nun, und sie entlasten die Schulleitungen, die sich stärker um das pädagogische Konzept kümmern können.

ZEIT: Das österreichische Bildungssystem ist bereits jetzt sehr teuer.
Wiederkehr:Auf Gemeindeebene brauchen wir aber mehr Geld, etwa für Sozialarbeit an den Schulen. Natürlich bräuchte es eine viel größere Reform auf Bunde.ebene, die Lehrpläne gehören entrümpelt. Das Problem ist, dass es viele föderale Doppelgleisigkeiten gibt, da könnte man Geld einsparen, das dann für den Unterricht frei ist. Zugleich sind wir gegenüber dem ländlichen Raum benach¬teiligt. Ein Volksschüler am Wörthersee bekommt um 20 Prozent mehr Mittel vom Bund als ein Schüler in Ottakring. Nichts gegen den Wörthersee, aber in einem Ballungsraum gibt es nun mal andere Herausforderungen. In London bekommen bestimmte Schulen mehr Unter¬stützung, das bräuchte es auch hier. Aber die wirklich großen Hebel in der Bildungspolitik, da muss man ehrlich sein, sind im Bund.

ZEIT: Der SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker will flächendeckende Corona-Tests an den Schulen. Sie nicht.
Wiederkehr:Das ist mit der aktuellen Omikron-Variante nicht notwendig, die Inkubationszeit ist so kurz, dass die Tests nicht mehr viel bringen. Außerdem sind Schulen keine Testanstalten, sondern dafür da, um die besten Bildungschancen zu ermöglichen. Der Aufwand für diese Tests war gewaltig. Deshalb halte ich das für kontraproduktiv.

ZEIT: Wurden die Schulen in den vergangenen Jahren zu schnell geschlossen?
Wiederkehr: Ja, und die Folgen werden wir noch viele Jahre sehen. Wir haben deutlich erhöhte psychische Probleme von Kindern und Probleme in den Familien. Ich hätte die Schulen früher ¬wieder aufgemacht, aber das war ein Fehler in der gesamten westlichen Welt.

ZEIT: In Österreich wurden die Schulen immer recht schnell geschlossen.
Wiederkehr: Es war leicht zu sagen: Wir schließen! Es ist eine scheinbar einfache Maßnahme, und es gab weniger Widerstand als in anderen Gesellschaftsbereichen. Viele Politiker haben nicht das Interesse der Kinder im Hauptfokus.

ZEIT: Neos steht für Transparenz und Kontrolle. Die Wiener Regierung hat angekündigt, die Mittel für Werbung zu kürzen. Tatsächlich wurden 2021 32 Millionen Euro für Werbung und Kommunikation ausgegeben – geplant waren 17 Millionen. Das kann Sie doch nicht freuen.
Wiederkehr: Dass man diese Zahl kennt, liegt an unserer Regierungsbeteiligung. Davor hat man nicht gewusst, wie viel Geld fließt. Wir haben es durch einen Medientransparenzbericht öffentlich gemacht. Bin ich damit zufrieden? Nein. Ich arbeite weiter daran, dass das Inseratenbudget sinkt.

ZEIT: Die SPÖ regiert Wien seit einem Jahrhundert. Wie arbeitet man mit so einem Partner?
Wiederkehr: Macht braucht immer Kontrolle. In Wien legen wir unseren Fokus darauf, diese Maßnahmen zu stärken. In vielen Bereichen sehe ich schon Fortschritte. Aber es ist noch viel zu tun.
Die Fragen stellte Florian Gasser


Teurer Strom
Hat sich die Wien Energie ¬verspekuliert, und wie geht es den Stromversorgern in anderen Ländern? Und wie wird den Menschen dabei geholfen, die hohen Rechnungen zu bezahlen, die bald fällig sein werden?
Darüber sprechen in der aktuellen Folge des Podcasts »Servus. Grüezi. Hallo.« die ZEIT-Korrespondenten Matthias Daum aus Zürich und Florian Gasser aus Wien mit Lenz Jacobsen von ZEIT ONLINE in Berlin. www.zeit.de/alpenpodcast
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