„Wir treffen Herz der Energieversorgung“

13. September 2022
Sorge um Energiepreise - Leipzig, APA/zb

EU-Minister für Notfallintervention in Strommarkt und Gewinnabschöpfung. Österreich gegen Deckel für russisches Gas.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Winter ist nah und die Energieminister der EU-Länder drängten bei ihrem Sondertreffen in Brüssel vor allem auf eine Erhöhung der Schlagzahl. „Wir machen hier etwas, was das Herz der europäischen Energieversorgung betrifft“, räumte der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor dem gestrigen Treffen ein: „Wir greifen in die Märkte ein, in ein System, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde.“ Man dürfe sich davor nicht drücken, aber: „Wir müssen sehr genau wissen, was wir tun.“ Der Zeitdruck, so Habeck, sei immens.

Kommende Woche also soll die Kommission Nägel mit Köpfen machen, die Vorgaben wurden gestern verhandelt. Aus Kreisen der Teilnehmer hieß es, dass trotz einiger unterschiedlicher Position die Dringlichkeit von allen gleichermaßen wahrgenommen werde. Dabei liegen die Positionen der EU-Länder in vielen Punkten gar nicht weit auseinander, allerdings stoßen manche an ihre Grenzen. So machte Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) klar, dass sich Österreich aufgrund der Abhängigkeit von russischem Gas gegen einen Preisdeckel für dieses Produkt ausspricht.

Gewessler: „Wir haben die Abhängigkeit von 80 auf 50 Prozent reduziert, aber wir sind noch nicht dort, wo wir hinmüssen.“ Zumindest in Deutschland stößt dieses Argument, das auch andere Länder im Osten ins Treffen führen, auf Verständnis. Habeck: „Die Entscheidung liegt bei den Ländern selbst. Deutschland hat im Frühjahr um Verständnis gebeten, als es um ein Gasembargo ging. Genauso würde ich jetzt anderen Ländern gegenübertreten, es wäre vermessen, da jetzt etwas anderes zu fordern. Da wir inzwischen ohne russisches Gas klarkommen – was erstaunlich ist –, müssen wir die Lage anderswo respektieren.“ Über einige Pipelines wie etwa Turkstream fließe nach wie vor Gas nach Europa. Wenn Putin alle Lieferungen kappt, hätte das derzeit noch fatale Folgen, so Gewessler.

Gaspreisdeckel noch offen

Nach Ende der Verhandlungen blieb der Punkt eines Preisdeckels für russisches Gas zwar weiterhin am Tisch und die Kommission werde dazu auch einen Vorschlag machen, so die zuständige Kommissarin Kadri Simson, allerdings könne sie da nicht vorgreifen – anzunehmen ist, dass eine konkrete Willensbildung über diesen Punkt tatsächlich erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Simson sagte, die Kommission werde sich in nächster Zeit intensiver als bisher mit jenen Ländern zu Beratungen treffen, die (wie Österreich) immer noch stark von russischen Lieferungen abhängig seien, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Gut angenommen wurde von den Ministern der Kommissionsvorschlag, die tägliche Spitzenbelastung zu reduzieren. „Das ist eine gescheite Maßnahme, das sollten wir machen, aber das ist nicht das Ende der Fahnenstange“, sagte Gewessler. Die Minister einigten sich auf eine gemeinsame, noch zu definierende Vorgabe (die Rede war von fünf Prozent) – und darauf, dass in einer ersten Phase alle EU-Länder auf freiwilliger Basis das Ziel erreichen sollen. Die Kommission will „intelligente Lösungen“ gemeinsam mit der Industrie finden, um den Energiebedarf in Spitzenzeiten abzusenken, das könnte etwa in Form von Auktionen laufen, bei denen man sich die Verlagerung energieintensiver Produktionen auf einen anderen Zeitpunkt quasi „abkaufen“ lässt.

Auch die Abschöpfung von sogenannten Zufallsgewinnen erachtet Gewessler als „sinnvolles Projekt“. Es müsse ein Ende finden, dass der hohe Gaspreis auch die Strompreise treibt und die Menschen nicht einmal dann von günstiger Erzeugung profitieren, wenn es einen hohen Anteil erneuerbarer Energie gebe. „Da müssen wir im Markt intervenieren, wir brauchen hier rasche Notfallmaßnahmen.“ Das läuft auf eine zumindest vorübergehende Entkoppelung von Gaspreis und vom Rest des Energieangebotes hinaus. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) sprach sich am Rande des gestrigen Finanzministertreffens in Prag für einen generellen europaweiten Deckel für alle Gas-Einkäufe, also auch beispielsweise Käufe aus Norwegen, aus. Das müsse aber eine gesamteuropäische Lösung sein.

Zufallsgewinne abschöpfen

Kommissarin Simson will den EU-Rahmen so zimmern, dass die Vorgaben weitgehend in bereits bestehende nationale Regelungen eingepasst werden können. Auch die Abschöpfung der „Zufallsgewinne“ ist generell begrüßt worden, obgleich das in der Praxis auf einige juristische und technische Schwierigkeiten stoßen dürfte. So kam in der Sitzung zumindest am Rande die Frage auf, ob dann der Standort der Energieanbieter entscheidend sei – große Konzerne haben ihre Sitze eher in reichen westlichen Mitgliedsländern als im Osten. Hier würde wahrscheinlich eine EU-weite Verteilung der Mittel nötig sein, um Ungleichgewicht zu vermeiden.

Gewesslers Amtskollege Claude Turms aus Luxemburg sieht das größte Problem in der Industrie, nicht bei den privaten Haushalten. Diesen könne man über staatliche Zuwendungen helfen, die Industrie aber baue auf billiger Energie auf, die sie über Jahre hinweg auf den Spotmärkten eingekauft habe: „Und wenn der Vertrag jetzt ausläuft, dann haben wir über Nacht eine Verzehnfachung der Kosten.“ Ähnlich wie schon in der Corona-Krise wird die Kommission nun das Beihilfenrecht vorübergehend anpassen.

Der Sonderrat einigte sich schließlich auf grundsätzliche Positionen, mit denen die Kommission ermächtigt wird, einen Legislativvorschlag auszuarbeiten. Für manche, etwa die österreichische EU-Abgeordnete Claudia Gamon (Neos) ist das zu wenig: „Der Rat hätte weiter kommen müssen.“ Im Grunde orientiert sich das Bündel an jenen fünf Punkten, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Woche vorgeschlagen hat. Die konkreten Vorschläge sollen schon kommende Woche am Dienstag vorgelegt werden – oder spätestens, wenn von der Leyen am Mittwoch in Straßburg ihre jährliche „Rede zur Lage der Union“ hält. Danach müssen die EU-Länder dem Paket zustimmen, das Parlament hat in diesem Fall kein Mitspracherecht, weil sich alle Maßnahmen auf eine Notsituation nach Paragraf 122 des EU-Vertrages beziehen. Kommissarin Kadri Simson gab sich vor Journalisten jedenfalls keinen Illusionen hin: „Wir werden ein arbeitsreiches Wochenende haben.“

Die Energieminister der EUStaaten ringen zusammen mit der Kommission nach Lösungen in der Energiekrise. Foto: apa / Georg Hochmuth

von Andreas Lieb aus Brüssel

Wiener Zeitung

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