Die EU-Kommission will Verbraucher mit radikalen Maßnahmen bei den hohen Energiepreisen entlasten. Nach einem am Mittwoch vorgestellten Gesetzesvorschlag sollen Energiefirmen einen Teil ihrer zuletzt stark gestiegenen Gewinne abgeben. Damit sollen Staaten die Krisenkosten abfedern. Der Vorschlag werde den EU-Staaten mehr als 140 Milliarden Euro bringen, um die Not zu lindern.
Die Unternehmen machten zuletzt Gewinne, mit denen sie in ihren kühnsten Träumen nie gerechnet hätten, sagte von der Leyen bei einer Grundsatzrede im Straßburger Europaparlament.
Die Einnahmen von Unternehmen, die Strom aus anderen Quellen als Gas produzieren, sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig ab 180 Euro je Megawattstunde eingezogen und an belastete Verbraucher umverteilt werden. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf präsentierten EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans und die EU-Energiekommissarin Kadri Simson am Mittwoch in Straßburg.
Die Gewinnobergrenze bei 180 Euro je Megastunde würde dem Vorschlag zufolge für Produzenten von billigerem Strom aus Sonne, Wind oder Atomkraft gelten. Sie fahren derzeit hohe Gewinne ein, weil der Strompreis durch den extrem gestiegenen Gaspreis getrieben wird und sie ihren billigeren Strom auch zu den hohen Preisen verkaufen können. Im deutschen Großhandel kostete Strom zuletzt ungefähr 450 Euro pro Megawattstunde.
Ein weiterer Teil des Gesetzesvorschlags, über den nun die EU-Staaten verhandeln müssen, ist eine Sonderabgabe der Öl- und Gaskonzerne. Sie müssten demnach 33 Prozent der Gewinne abgeben, die über 20 Prozent über dem durchschnittlichen Gewinn der vergangenen drei Jahre liegen. Damit sollen ebenfalls Entlastungsmaßnahmen für Verbraucher und Unternehmen finanziert werden.
Zudem schlug die EU-Kommission Stromsparmaßnahmen vor. In Spitzenzeiten soll der Verbrauch verpflichtend um mindestens 5 Prozent reduziert werden. Insgesamt sollten die EU-Länder ihren Stromverbrauch freiwillig um 10 Prozent senken.
Solche Eingriffe in den Markt waren noch vor wenigen Monaten von vielen Ländern kategorisch abgelehnt worden . Die Lage hat sich jedoch dramatisch verändert. Unter anderem deshalb, weil Russland kaum noch Gas an die EU-Staaten liefert. Der Strompreis im Großhandel ist heute drei- bis viermal höher als vor einem Jahr. In Zeiten wie diesen müssten Gewinne geteilt und an die Bedürftigsten umgeleitet werden, sagte von der Leyen.
Der Gesetzesvorschlag muss nun von den EU-Ländern angenommen werden. In groben Zügen hatten sie dem Konzept bereits vergangene Woche zugestimmt. Knifflig wird es jedoch bei den Details, über die jetzt verhandelt werden muss.
Was nicht im Vorschlag steht:
Die EU-Länder hatten die EU-Kommission vergangene Woche dazu aufgefordert, Vorschläge für einen Gas-Preisdeckel vorzulegen – dieser fehlt im nun präsentierten Vorschlag. Länder wie Italien und Belgien fordern einen Maximalpreis für russisches und anderes importiertes Gas. Länder wie Ungarn sind jedoch stark von russischem Gas abhängig. Budapest lehnt eine solche Preisobergrenze ab. Für den Fall eines Gaspreisdeckels wird befürchtet, dass Russland dann gar nicht mehr liefern würde und auch andere Lieferanten ihr Gas lieber anderswo verkaufen würden.
„Deshalb werden wir mit den Mitgliedstaaten eine Reihe von Maßnahmen entwickeln, die den Besonderheiten unserer Beziehung zu Lieferanten Rechnung tragen – von unzuverlässigen Lieferanten wie Russland bis hin zu verlässlichen Freunden wie Norwegen“, sagte von der Leyen. Sie habe etwa mit Oslo eine Arbeitsgruppe dafür gegründet.
Die EU-Länder hatten auch Hilfen für Energieversorger gefordert, die angesichts der schwankenden Märkte an ihre finanziellen Grenzen kommen. „Wir werden im Oktober den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen ändern, um staatliche Garantien zu ermöglichen und gleichzeitig gleiche Wettbewerbsbedingungen zu wahren“, sagte von der Leyen dazu. Um Bürgschaften bei Kauftransaktionen bereitzustellen, sei man mit den Marktaufsichtsbehörden und der Europäischen Investitionsbank in Kontakt.
Von der Leyen kündigte zudem eine „tiefe und umfassende“ Reform des Elektrizitätsmarktes an. Ziel sei es, den Strom vom Gaspreis loszulösen – wie das gelingen könnte, sagte sie nicht. Die Kommission hatte immer wieder betont, dass das sehr komplex sei und Zeit brauche.
Wie es weitergeht:
Die für Energie zuständigen EU-Minister verhandeln am 30. September bei einem weiteren Krisentreffen über den Gesetzesvorschlag. Dann soll eine Einigung stehen. Dafür ist der Kommission zufolge eine Mehrheit von mindestens 15 Staaten notwendig, die mindestens 65 der gesamten EU-Bevölkerung ausmachen.
APA/dpa