Abgestellte AKW verschärfen Frankreichs Energiekrise

15. September 2022, Paris
EDF-Chef Jean-Bernard Lévy - Paris, APA/AFP

In Frankreich wird ein wichtiger Managerposten frei – doch die Suche nach der künftigen EDF-Spitze gestaltet sich schwierig. Denn das Energie-Unternehmen steckt tief in der Krise, und mit ihm die gesamte französische Atomwirtschaft. Die einst stolze Atomnation, die Befürwortern von Atomkraft lange als Vorbild galt, muss mehr und mehr Strom importieren. Kürzlich waren 32 von 56 Reaktoren im Land abgeschaltet, derzeit sind es noch 26.

„Das ist eine historische Ausnahmesituation. Und es passiert ausgerechnet im schlimmsten Moment, wenn (Russlands Präsident) Wladimir Putin uns das Gas abdreht“, sagt Benjamin Fremaux von der Denkfabrik Institut Montaigne.

Der scheidende EDF-Chef Jean-Bernard Lévy hatte Präsident Emmanuel Macron kürzlich die Mitschuld an der französischen Atom-Misere zugeschoben. „Warum haben wir heute nicht genügend Fachkräfte?“, fragte er. „Weil uns gesagt wurde: Bereitet Euch darauf vor, Atomkraftwerke abzuschalten“, schimpfte er Ende August.

Macron bezeichnete die Vorwürfe als „inakzeptabel“. Fakt ist, dass der Präsident zu Beginn seines Mandats noch den Anteil von etwa zwei Drittel Atomstrom auf 50 Prozent verringern wollte. Erst im vergangenen Februar schwenkte er offiziell um und stellte den Bau von 14 neuen Reaktoren in Aussicht.

Das bedeutet massive Investitionen, dabei ist der Betreiber EDF bereits mit 43 Milliarden Euro verschuldet. Zudem hat das Unternehmen große Probleme, den alternden Atompark in Stand zu halten.

Was früher ein Vorteil war, hat sich zum Nachteil gewendet: Die meisten französischen Atomkraftwerke wurden Anfang der 1980er gebaut und haben ähnliche Baupläne. Jetzt stehen in vielen von ihnen langwierige Sicherheitsprüfungen an, damit – wie von der Regierung gewünscht – ihre Laufzeit auf bis zu 50 Jahre verlängert werden kann.

Im vergangenen Winter wurden zudem in mehreren Reaktoren feine Risse in Leitungen des Notfall-Kühlsystems entdeckt, die bis zu fünf Millimeter breit sein können. Wegen der Korrosion musste bereits ein Dutzend Reaktoren abgeschaltet werden.

Im Sommer kamen weitere Probleme hinzu: Infolge der Hitzewellen wurden die Flüsse zu warm, aus denen das Kühlwasser entnommen wird. Die Garonne erreichte Temperaturen von bis zu 28 Grad. Mehrere Reaktoren mussten gedrosselt werden, um das Wasser durch das zurückgeleitete, erwärmte Kühlwasser nicht noch weiter erhitzen.

Die Regierung hat EDF außerdem dazu verpflichtet, einen Teil seiner Produktion unter dem Marktpreis an seine Konkurrenten abzugeben. Damit sollen die Verbraucher vor hohen Energiepreisen geschützt werden.

Das Unternehmen fordert daher eine Rückzahlung in Höhe von acht Milliarden Euro vom Staat, seinem größten und künftig einzigen Anteilshaber. Im Juli hatte die Regierung angekündigt, EDF wieder nationalisieren zu wollen. Derzeit hält sie 84 Prozent an dem Unternehmen. Für den Aufkauf der übrigen Anteile werden knapp zehn Milliarden Euro veranschlagt.

Die Franzosen, die über Jahrzehnte an billigen Atomstrom gewohnt waren, sollen nun zehn Prozent einsparen, hat Macron angeordnet. Eine Raumtemperatur von 19 Grad sei ausreichend, erklärte er. Betrieben drohen Rationierungen, wenn sie ihren Stromverbrauch nicht herunterfahren. „Besser jetzt freiwillig als später abgeordnet“, warnte Premierministerin Elisabeth Borne.

Im kommenden Winter will Frankreich Deutschland mit Gas aushelfen und im Gegenzug Strom importieren. Das haben Präsident Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich kürzlich gegenseitig zugesagt – ein weiteres Zeichen dafür, dass Frankreich sich um seine Stromversorgung sorgt.

EDF legte am Mittwoch einen Zeitplan vor, nach dem die abgeschalteten Reaktoren bis Februar alle wieder ans Netz gehen sollten. Allerdings warnte fast zeitgleich der Netzbetreiber RTE davor, dass im Fall eines kalten Winters geplante Stromausfälle nicht ausgeschlossen seien.

APA/ag

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