Scholz: Man kann sich nicht auf Russland verlassen

19. September 2022, Schwedt/Berlin
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz - Essen, APA/dpa

Gut drei Monate vor dem EU-weiten Öl-Embargo gegen Russland macht sich Deutschland immer unabhängiger von den Energielieferungen des unberechenbar gewordenen Vertragspartners: Seit Freitag stehen die deutschen Töchter des russischen Staatskonzerns Rosneft unter Verwaltung der Bundesnetzagentur. Dagegen will die russische Rosneft nun vor Gericht ziehen. Welche Folgen die Treuhandlösung haben könnte, ist noch ungewiss.

„Ich war von Anfang an sehr sicher, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass Russland seine Verpflichtungen einhält, was zum Beispiel Gas-Lieferungen betrifft“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) im „Interview der Woche“ des Deutschlandfunks, das am Samstag online veröffentlicht wurde. Russland hat seine Gas-Lieferungen nach Deutschland inzwischen eingestellt, niemand weiß, ob sie je wieder aufgenommen werden. „Und genauso bereiten wir uns jetzt darauf vor, dass eine ähnlich schwierige Situation entstehen kann für die beiden ostdeutschen Raffinerien, die an der Druschba-Pipeline hängen.“

Gemeint sind die PCK-Raffinerie in Schwedt/Oder in Brandenburg und die Raffinerie in Leuna in Sachsen-Anhalt. Beide erhalten über die Druschba-Pipeline russisches Öl. Die Anlage in Schwedt hatte bisher zudem ein besonderes Problem: Ihre Mehrheitseigner waren zwei Töchter des russischen Staatskonzerns Rosneft. Seit Freitag stehen die beiden Firmen unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur – „Zwangsenteignung“ nannte der staatliche russische Mutterkonzern den Schritt am Freitagabend und kündigte an, vor Gericht dagegen vorzugehen. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte die Ankündigung am Samstag nicht kommentieren. Man handle auf Grundlage der deutschen Gesetze und sei sehr gut vorbereitet.

Grundlage für die Treuhand-Konstruktion der Bundesregierung ist das erst vor kurzem geänderten Energiesicherungsgesetz. Auf dessen Basis können bestimmte Unternehmen vorübergehend unter Treuhandverwaltung gestellt werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Als letztes Mittel gäbe es sogar die Möglichkeit einer Enteignung.

Die Gründe für die Treuhandlösung erklärte das Bundeswirtschaftsministerium am Samstag auf dpa-Anfrage so: „In den vergangenen Monaten hat die Mineralölwirtschaft im engen Austausch mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Schritte eingeleitet, die Lieferbeziehungen mit Russland zu beenden.“ So habe man den Anteil von Importen aus Russland an den Rohöleinfuhren nach Deutschland bereits von 35 Prozent im Jahr 2021 auf rund 23 Prozent (Stand: Juli 2022) reduziert.

„Die Mineralölunternehmen sind in der Lage, mit einem gewissen Vorlauf ihren Bedarf zu 100 Prozent ohne russisches Rohöl abzudecken – alle außer Rosneft“, heißt es weiter in der Stellungnahme. Rosneft habe bis zuletzt Rohöl aus Russland importiert und einen Anteil von 12 Prozent am deutschen Rohölmarkt. „Für die 12 Prozent von Rosneft musste eine Lösung gefunden werden. Dies ist mit der Treuhandschaft passiert“, erklärte das Ministerium.

Dass Deutschland auf Dauer ohne russisches Öl auskommen muss, ist längst beschlossen. Am 1. Jänner greift ein EU-Öl-Embargo gegen Russland. Darauf ist die Raffinerie in Leuna – im Gegensatz zum PCK Schwedt – gut vorbereitet, wie Kanzler Scholz am Samstag im DLF noch einmal verdeutlichte: „Und für Leuna, wo wir auch Unterstützungsmaßnahmen organisieren für die Weiterentwicklung des ökonomischen Umfeldes, ist das etwas einfacher, weil das Unternehmen, das diesen Standort betreibt, schon sehr frühzeitig dafür gesorgt hat, dass es seine Importe über Polen organisieren kann.“ In Schwedt sorge der Bund nun über hohe Investitionen für neue Importmöglichkeiten.

Von Gewerkschaftsseite wurden die Pläne grundsätzlich positiv bewertet. Der zuständige Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) Rolf Erler, sagte am Samstag im Inforadio des RBB mit Blick auf die Rosneft-Reaktion aber auch, die Treuhandlösung sei mit Unwägbarkeiten verbunden. Auch Scholz hatte bereits am Freitag eingeräumt: „Wir wissen nicht, was jetzt passiert.“

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, hält das Vorgehen für eine gute Lösung. Mit Rosneft habe es am Standort keine Fortschritte mehr gegeben: Geschäftspartner hätten sich zurückgezogen, Rosneft habe andererseits große, brach liegende Areale nicht für andere Investoren freigegeben, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag). Mit der Entscheidung des Bundes sieht er nun eine Perspektive für Schwedt. „Ich wage sogar die Prognose, dass es in Schwedt in einigen Jahren deutlich mehr Arbeitsplätze als heute geben wird“, sagte er. Auf die Frage, ob er den Mitarbeitern guten Gewissens sagen könne, dass sie eine berufliche Zukunft haben, antwortete der Ostbeauftragte: „Definitiv ja!“.

APA/dpa

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