Gaspreise – Deutschland probt den Spagat

3. Oktober 2022, Stuttgart

Die von der deutschen Bundesregierung geplante Gaspreisbremse hat eine Debatte über ihre konkrete Umsetzung ausgelöst. Einer der Knackpunkte ist die Frage, wie trotz der milliardenschweren Entlastung Sparanreize bestehen bleiben können.

Nach Einschätzung der Bundesnetzagentur muss die Unterstützung für einen Zeitraum von fast zwei Jahren gelten. „Mindestens bis Sommer 2024 werden wir in irgendeiner Art von angespannten Situation sein“, sagte Netzagentur-Präsident Klaus Müller in einem Podcast des baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz (Grüne). Der Gaspreisdeckel werde „mit Sicherheit“ bis dahin gebraucht.

Die Mengen an russischem Gas, die ersetzt werden müssten, seien „riesengroß“, sagte Müller. Es müssten zunächst die sechs Flüssiggas-Terminals und die Anbindung ins Hinterland gebaut werden, damit viel Gas aus Belgien, Frankreich und Norwegen nach Deutschland strömen könne. „Das braucht einfach Zeit.“ Der Netzagentur-Chef empfahl der Regierung, jetzt schnell ein Modell für eine Gaspreisbremse vorzulegen. „Die Politik wird den Mut haben müssen, mindestens für diesen Winter 2022/2023 ein schnelles und einfach zu administrierendes Modell umzusetzen.“

Müller befürchtet, dass es viel Streit darum geben werde, wo man die Grenze für den Deckel einzieht. „Es wird eine bestimmte Pauschalierung geben müssen, die wird einen Hauch ungerecht sein.“ Denn die Stadtwerke wüssten nun mal nicht, wie viele Menschen in einem Haushalt leben. Deswegen falle eine Berechnung pro Kopf schon mal weg. Es werde eine Lösung geben müssen, „wo vielleicht nicht alle Fragen der Einzelfallgerechtigkeit geregelt werden, sonst wird das so komplex, dass das niemand umsetzen kann.“ Für den übernächsten Winter könne man das Modell noch verfeinern.

Müller hält es für richtig, Bürgerinnen und Bürger bei den sprunghaft gestiegenen Gaskosten zu entlasten, pocht aber auch auf Anreize zum Sparen. Ansonsten seien „wir schneller, als uns allen lieb ist, eben in einer Mangelsituation“. Der Netzagenturpräsident rief erneut die Bevölkerung zum Energiesparen auf. „Wenn wir es nicht schaffen, in den privaten Haushalten mindestens 20 Prozent Einsparungen zu erzielen, dann werden wir in einem durchschnittlichen Winter nicht ohne Kürzungen bei der Industrie zurechtkommen.“

Auch der Deutsche Städtetag rief zu Einsparungen auf und mahnte Bund und Länder vor Gesprächen an diesem Dienstag im Kanzleramt zur Geschlossenheit. Die Gaspreisbremse müsse „jetzt sehr schnell klug konzipiert werden“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wenn private Haushalte einen Grundbedarf von 80 Prozent des Gas-Verbrauchs vergünstigt bekämen, bleibe der Sparanreiz bestehen.

Doch nicht nur die Verbraucher sind gefragt: Mit einem sogenannten Gas-Auktionsmodell will die deutsche Regierung der Industrie Anreize geben, Gas einzusparen und dieses gegen Entgelt etwa zum Heizen zur Verfügung zu stellen. Das Modell ist am Wochenende gestartet, wie die Deutsche Presse-Agentur aus dem Wirtschaftsministerium erfuhr.

Die Ampelkoalition hatte am Donnerstag einen neuen „Abwehrschirm“ von bis zu 200 Mrd. Euro angekündigt, um Verbraucher und Unternehmen wegen der steigenden Energiepreise zu stützen. Die umstrittene Gasumlage ist vom Tisch – dafür soll es eine Gaspreisbremse geben. Mindestens für einen Teil des Verbrauchs sollen die Preise so gedeckelt werden, dass private Haushalte und Firmen nicht überfordert sind. Was das genau bedeutet, ist aber noch offen. Eine Kommission soll bis Mitte Oktober Vorschläge machen.

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner will die angepeilte Höchstsumme nicht ausreizen. „Unsere Anstrengung muss darauf gerichtet sein, die 200 Mrd. Euro möglichst nicht auszuschöpfen“, sagte der FDP-Politiker der „Rheinischen Post“. Man müsse das Energieangebot ausweiten, um die Marktpreise zu senken. Die FDP-Jugendorganisation fordert von der Regierung bereits ein Enddatum für den staatlichen Eingriff in die Energiepreis-Gestaltung.

Um die Gasvorräte in der EU bis zum Ende der Heizsaison auf einem angemessenen Niveau zu halten, müsste nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA die Nachfrage im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre um 9 bis 13 Prozent reduziert werden. Ohne reduzierten Gasverbrauch und bei einem vollständigen russischen Lieferstopp ab November könnten die Speicherstände demnach auf knapp fünf Prozent sinken, wenn zugleich nur wenig Flüssiggas in die EU geliefert wird. Dann gäbe es ein erhöhtes Risiko von Versorgungsunterbrechungen bei einem späten Kälteeinbruch.

APA/dpa