Ringen um Gaspipeline durch die Pyrenäen

5. Oktober 2022, Madrid

Energie. Der Bau einer Pipeline, durch die Gas aus Spaniens LNG-Terminals nach Norden fließen könnte, wurde vor Jahren gestoppt. Angesichts der Energiekrise drängen Spanien und Deutschland nun auf den Weiterbau — vorerst mit wenig Erfolg.

Deutschland und Spanien geben nicht auf. Die Regierungen beider Länder erhöhen den Druck, um Frankreich davon zu überzeugen, dass die Fertigstellung einer europäischen Süd-Nord-Gaspipeline durch die Pyrenäen sinnvoll ist. Bisher lehnt Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron das Projekt ab: Es lohne sich wirtschaftlich nicht und sei umweltpolitisch nicht durchsetzbar.

Die 300 Kilometer lange Röhre, deren Bau 2019 gestoppt wurde, soll überschüssiges Erdgas aus Spaniens Flüssiggasanlagen nach Zentraleuropa transportieren. „Die Pipeline würde einen massiven Beitrag zur Entspannung der Versorgungslage leisten“, wirbt Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz für den Weiterbau. „Berlin und Spanien stimmen darin überein, dass wir mehr europäische Netze für die Energie brauchen — sei es für Gas oder Strom“, bekräftigen auch Diplomaten in Madrid.

Die Midcat-Pipeline steht am 5. Oktober ganz oben auf der Tagesordnung des deutsch-spanischen Regierungsgipfels, der in der spanischen Atlantikstadt A Coruña stattfindet. Nicht weit entfernt liegt im Hafen des Ortes Mugardos eines jener sechs großen Gasterminals, die Spanien besitzt — während Deutschland bisher keinen einzigen hat. An den Terminals docken die mit verflüssigtem Erdgas (LNG) gefüllten Riesentanker an, die im Falle Spaniens vor allem aus den USA, Algerien und Nigeria kommen. In den Anlagen wird das LNG wieder in Erdgas verwandelt.

Ersatz für russisches Gas

2023 will Spanien einen siebenten Gasterminal im Atlantikhafen der nordspanischen Stadt Gijón in Betrieb nehmen. Laut dem Betreiber Enagas können dann allein in Gijón pro Jahr 100 Supertanker abgefertigt werden, deren LNG-Ladung acht Milliarden Kubikmeter Erdgas entspreche — nahezu 15 Prozent jener Menge, die früher durch die von Russland nach Deutschland führende Pipeline Nord Stream 1 strömte. „Wir besitzen die größte Flüssiggas-Infrastruktur in ganz Europa“, sagt Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez. Spanien habe 30 Prozent aller Kapazitäten innerhalb der EU. Er bietet Deutschland und anderen europäischen Ländern an, diese Kapazitäten zu nutzen, denn die spanischen Anlagen sind nicht ausgelastet. „Wir wollen dazu beitragen, die Versorgungssicherheit Europas zu stärken“, sagt die spanische Energieministerin Teresa Ribera. Regierungschef Sánchez kann sich vorstellen, dass sein Land zum europäischen LNG-Tor wird: Spanien habe die Chance, sich in einen Export-Hub zu verwandeln, viele EU-Länder hätten dann eine Alternative zum russischen Gas.

Doch wie kommt das Gas aus den spanischen Terminals nach Zentraleuropa? Noch sind beim Plan, die Süd-Nord-Pipeline von Spanien nach Frankreich fertigzustellen und dort an das europäische Ferngasnetz anzuschließen, wenig Fortschritte in Sicht. „Wir brauchen keine neuen Gasverbindungen“, sagte Frankreichs Präsident Macron nach einem Gespräch mit Deutschlands Kanzler Scholz im September. Zwei kleinere Pipelines zwischen Spanien und Frankreich seien selbst jetzt nicht ausgelastet. Zudem werde es Jahre dauern, bis eine Pipeline quer durch die Pyrenäen fertig sei. Die Annahme, dass MidCat kurzfristig Europas aktuelle Gasprobleme lösen könne, sei „absolut falsch“, erklärte Macron. Weder Scholz noch Sánchez hätten ihn bisher von Midcat überzeugen können. Aber wenn es neue Argumente gebe, sei er durchaus bereit, seine Meinung zu überdenken.

Wasserstoff statt Erdgas?

Die Tür für eine Einigung ist also noch nicht ganz geschlossen. Oder, wie es Spaniens Energieministerin Ribera ausdrückte: „Midcat ist noch nicht beerdigt.“ Man darf also gespannt sein, mit welchen Argumenten Berlin und Madrid den Widerstand aus Paris überwinden wollen. Vielleicht mit dem zunehmend betonten Hinweis, dass der Bau ganz unabhängig vom Gas rentabel sein könne — etwa, um in einer grünen Zukunft ohne fossile Brennstoffe Wasserstoff durch die Röhre zu pumpen? Die Wasserstoff-Perspektive dürfte zudem eine EU-Förderung des Milliardenprojekts erleichtern. Aber auch dass man sich statt mit Frankreich auch mit Italien per Pipeline vernetzen könne, ist in Madrid immer wieder zu hören.

Der Bau der Midcat-Leitung, die vom nordspanischen Martorell bis ins südfranzösische Barbaira führen sollte, begann übrigens bereits 2013. 86 Kilometer weit kamen die Ingenieure auf spanischer Seite. Dann war Schluss, weil in Paris, Madrid und Brüssel Zweifel an der Wirtschaftlichkeit aufkamen. Bis der Krieg in der Ukraine das eingefrorene Projekt wieder auf die Tagesordnung brachte.

von unserem Korrespondenten Ralph Schulze

Die Presse