Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) räumt der Klage Österreichs wegen der umstrittenen EU-Einstufung von Gas und Atomkraft als klimafreundliche Investitionen gute Chancen ein. „Wir werden nicht zusehen, dass sich die Union und die Kommission vor den Karren der fossilen und nuklearen Lobby spannen lassen und damit auch unser aller Zukunft gefährden“, sagte sie am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien.
Österreich hatte am Freitag kurz vor Ablauf der Frist am Montag beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Klage gegen die sogenannte Taxonomie-Verordnung eingereicht. Im Zuge der Taxonomie-Verordnung hat die EU-Kommission Gas und Atom als „nachhaltig“ eingestuft. Damit will die EU-Kommission festlegen, welche Finanzinvestitionen künftig als klimafreundlich gelten. Das soll dabei helfen, die für die Klimawende benötigten Milliarden zu mobilisieren und den Weg der EU zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu ebnen. Umweltorganisationen kritisieren dieses Vorhaben scharf. Luxemburg will sich der Klage Österreichs anschließen.
Gewessler halte die Verordnung nicht an sich für falsch, sie würde Investoren einen Leitfaden bieten. Sie wolle sich aber mit „mit ganzer Kraft dagegen wehren, Atomkraft und Gas grünzuwaschen“. Atomkraft sei in der ursprünglichen Verordnung explizit nicht aufgenommen gewesen und erst durch den ergänzenden delegierten Rechtsakt hinzugefügt worden. „Das halten wir nicht nur für verantwortungslos und unvernünftig, sondern auch nicht für rechtens“, so Gewessler.
Österreich betrachtet die von der EU-Kommission vorgelegte Regelung deshalb auch als juristisch falsch. Die EU-Kommission habe nicht die Ermächtigung, solch weitreichende politische Entscheidungen zu treffen, so die Argumentation.
Die Klage Österreich umfasse 16 Punkte. Unter anderem sei darin formuliert, dass Atomkraft keine Zukunftstechnologie sei und etwa die ungelöste Frage nach einem Endlager keine nachhaltige Einstufung möglich mache. Ein signifikanter Aspekt der Taxonomie-Verordnung ist laut Gewessler, dass die Technologien keine Umweltschäden in anderen Bereichen anrichten können. Die Katastrophen in Tschernobyl oder Fukushima hätten eindeutig belegt, dass man dies nicht ausschließen könne. Die angespannte Lage in und rund um Atomkraftwerken in der Ukraine verdeutliche diese Gefahr ganz aktuell nochmals.
„Ich bin der festen Überzeugung, im Kampf gegen die Klimakrise braucht es gerade jetzt richtige und auch mutige Entscheidungen“, sagte Gewessler, die sich aber auch auf ein langes Verfahren einstellt.
„Ich denke, dass man mit zwei Jahren rechnen muss“, sagte Anwältin Simone Lünenbürger. Das Verfahren sei sehr komplex. Aufschiebende Wirkung habe die Klage zudem nicht. Die neue Regelung trete EU-weit mit 1.1.2023 in Kraft.
Bei der Klage beruft sich Österreich auf ein Gutachten internationaler Experten, wonach Atomkraft nicht nachhaltig sei. Dass Österreich mit dieser Argumentation vor dem EuGH durchkommt, schätzen Juristen aber als nicht besonders groß ein.
„Dass Fachleute dem teilweise wenig Erfolg beimessen, ist auch der politischen Position geschuldet“, so Lünenbürger. „Erfolgschancen gegen die Kommission sind im Durchschnitt niedrig, aber es kommt auf die Argumente an und wir haben gute Argumente.“Für den Anti-Atom-Sprecher der Grünen, Martin Litschauer, war die Klage der einzig richtige Weg: „Die Entscheidung der Europäischen Institutionen untergräbt das Finanzierungslabel für eine nachhaltige und sichere Energiewende und ermöglicht den größten Etikettenschwindel in Europa“, so Litschauer in einer Aussendung. Die Verordnung müsse wieder rückgängig gemacht werden. „Marode Atomkraftwerke, wie etwa jene in Frankreich, sind mit massiven Risiken für die ansässigen Bevölkerung verbunden und sollten nicht noch zusätzlich unter dem Deckmantel des Klimaschutzes finanziert werden.“
Der Anti-Atom-Sprecher der Umweltorganisation GLOBAL 2000, Reinhard Uhrig, begrüßte die rechtlichen Schritte. „Es ist gut, dass die Republik Österreich gegen den verpfuschten Abänderungsversuch für die EU-Richtlinien für nachhaltige Investments klagt“, hieß es in einer Stellungnahme. „Der Ukraine-Krieg und die Unsicherheit der dortigen Atomkraftwerke zeigen erneut, wie drastisch falsch die Einstufung der beiden fossilen Energieträger als „grün“ wäre – sie würden uns nur weiter in Abhängigkeit von Krisenstaaten halten“, so Uhrig. Die Zukunft seien naturverträgliche Erneuerbare Energien.
Die Umweltschutzorganisation WWF sah ebenfalls einen richtigen Schritt Österreichs, sich gegen die grüne Einstufung von Gas und Atomkraft zu stellen. Beide Technologien seinen „umweltschädlich und gefährlich“. Das wäre Greenwashing in Reinkultur, sagte WWF-Experte Jakob Mayr in einer Aussendung. Gemeinsam mit Erdöl und Kohle gehört laut WWF fossiles Gas weltweit zu den größten Klimakillern und ist allein in Österreich für 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Besonders problematisch sei das bei der Erdgasgewinnung freigesetzte Methan, ein noch viel schädlicheres Treibhausgas als CO2.
Greenpeace sieht in der Klage den einzig richtigen Schritt, den „Etikettenschwindel“ wieder rückgängig zu machen. „Mit dem jetzigen Regelwerk werden Atom und Gas ein grünes Mascherl verliehen und die Umwelt- und Klimaziele der EU untergraben“, so Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace.
APA