EU-Spitzen bereiten Preisdeckel auf Gas vor

12. Oktober 2022, Prag

Olaf Scholz fand sich auf dem EU-Gipfel in der ungewohnten Rolle des Buhmanns. Sein „Doppelwumms“ heizte die Debatte in Prag an.

Der Winter kommt. Und bevor es richtig kalt wird, dürfte auch eine EU-weite Preisobergrenze auf Gas kommen. Jedenfalls deutete auf dem informellen EU-Gipfel in Prag am Freitag alles darauf hin. Die 27 Staats- und Regierungschefs diskutierten darüber, wie die Gaspreise begrenzt werden könnten, damit auch die Rechnungen für die Endverbraucher sinken. Konkrete Entscheidungen soll es laut Kommissionschefin Ursula von der Leyen in zwei Wochen geben, wenn die Runde zu ihrem regulären Herbsttreffen in Brüssel zusammenkommt. Bis dahin wird die Kommission einen Vorschlag unterbreiten müssen.

Offen ist, welche Art von Preisdeckel gewählt wird – es sind mindestens drei im Gespräch: erstens nur auf Gas, das zur Stromproduktion benutzt wird; zweitens nur auf russisches Gas; drittens auf alle Importe sowie den innereuropäischen Handel.

Aus Deutschland und Österreich, die bisher äußerst skeptisch zu einem Preisdeckel standen, kommen nun wesentlich konziliantere Töne. „Österreich spricht sich für einen Gaspreisdeckel aus“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer sogar, nannte aber eine Bedingung: Dieser dürfe „nicht zu einem Embargo durch die Hintertür“ führen.

Die Alpenrepublik bezieht noch immer die Hälfte ihres Gasbedarfs aus Russland. Daher rührt die Sorge, Wladimir Putin könnte auf einen europäischen Preisdeckel mit dem völligen Zudrehen des Gashahns reagieren. Es wird daher auch um die Frage gehen, wie die von russischem Gas besonders Abhängigen – neben Österreich sind das vor allem Deutschland und Ungarn – im Fall des Falles genug Gas von den europäischen Partnern bekommen können. Eine Frage der Solidarität also.

Ausgerechnet der europäische Musterschüler Deutschland sah sich in Prag mit dem Vorwurf konfrontiert, beim Gaseinkauf egoistisch und in nationalen Alleingängen zu handeln. „Seid gemeinschaftlich, solidarisch mit allen anderen“, appellierte etwa der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki an Scholz. Der lettische Premierminister Krišjānis Kariņš sah eine „Verzerrung des Binnenmarkts“ durch deutsche Marktmacht. Aus Italien und Frankreich sind ebenfalls überaus kritische Töne zu hören.

Die Vorwürfe hat sich Scholz mit seinem „Doppelwumms“ eingehandelt. So hat er das 200 Milliarden Euro schwere Entlastungspaket genannt, mit dem Deutschland bis 2024 die Energierechnungen der Konsumenten drücken und die Energiewirtschaft stützen will. Es hat für viel böses Blut gesorgt, dass sich Berlin gleichzeitig gegen einen EU-weiten Preisdeckel stemmt, von dem sich ärmere Staaten eine Entlastung ihrer Bürger versprechen.

Eine Mehrheit von 15 Staaten will mittlerweile einen Preisdeckel für alle Gasimporte in die EU einführen. Dieser soll hoch genug sein, damit die Lieferstaaten die Versorgung nicht einstellen, aber so niedrig, dass die Endkunden deutlich weniger zahlen als zuletzt.

Die EU-Kommission hatte sich zunächst für einen Stopp nur für russisches Gas ausgesprochen.
Die derzeit wahrscheinlichste Variante ist eine Preisobergrenze ausschließlich für Gas, das zur Stromerzeugung benutzt wird. Dafür hatte sich zuletzt auch Österreichs Wirtschaftsminister Martin Kocher ausgesprochen.

Die Kommission hat außerdem angekündigt, mit befreundeten Gaslieferanten wie den USA, Norwegen oder Algerien über einen Preisnachlass zu verhandeln. Mit Norwegen laufen bereits Gespräche, bisher aber ohne Ergebnis. Auch Verbündete verzichten nicht so ohne Weiteres auf die hohen Gewinne, die die Energiekrise ihnen beschert.

Und auch der gemeinsame Gaseinkauf auf EU-Ebene kommt nicht recht vom Fleck, obwohl die Kommission bereits im Frühjahr eine entsprechende Plattform eingerichtet hat. Beschaffung und Verteilung sind ungleich komplizierter, als das bei den Corona-Impfstoffen der Fall war. Als Käufer treten diesmal nicht die Staaten auf, sondern Energiekonzerne.

Salzburger Nachrichten