„Fernwärme ist ein endliches Gut“

2. November 2022

Die Stadt Wien will bis 2040 ohne Erdgas rund 56 Prozent des Wärmebedarfs durch Fernwärme abdecken können.

Bis 2040 soll Wien klimaneutral werden. Das sieht zumindest die „Smart Klima City Rahmenstrategie“ der Stadt Wien vor, die zu Jahresbeginn von der rot-pinken Stadtregierung beschlossen wurde. Insgesamt will Wien allein in den kommenden Jahren fast drei Milliarden Euro in klimaschutzwirksame Maßnahmen investieren, wobei hier auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs berücksichtigt ist. Im Fokus stehen in der Strategie u.a. neue Mobilitätsformen – so ist hier etwa vorgesehen, dass ab diesem Zeitpunkt keine Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotoren mehr im Einsatz sind.

Vor allem steht aber das Thema Energie im Vordergrund. So ist zum Beispiel die Nutzung der Geothermie Teil des Plans. Dafür baut die Wien Energie in Simmering am Gelände der EBS-Kläranlage eine der leistungsstärksten Großwärmepumpen Europas. In der ersten Ausbaustufe mit 55 Megawatt (MW) Leistung sollen ab Mitte 2023 bis zu 56.000 Haushalte versorgt werden können, 2027 soll die Leistung 110 MW betragen. Die Großwärmepumpe werde komplett klimaneutral aus regionalen Energiequellen betrieben. Zwei Drittel der Energie kommen aus der Abwärme des gereinigten Abwassers der Kläranlage, ein Drittel wird mit Ökostrom aus dem benachbarten Verbund-Donaukraftwerk Freudenau gedeckt, heißt es vonseiten der Stadt.

Zur Erklärung: Normalerweise fließt das Abwasser nach der Reinigung in den Donaukanal, ab 2023 macht es davor noch einen Umweg in die Großwärmepumpenanlage: Dort stehen im Vollausbau sechs Wärmepumpen, die mit Wärmetauschern dem gereinigten Wasser rund 6 Grad Celsius entziehen, so die Wien Energie. Diese geringe Temperatur könne mit moderner Technik genutzt werden, um Wärme mit über 90 Grad Celsius zu erzeugen. Diese Wärme fließt dann als heißes Wasser in das Fernwärmenetz – und genau das wird auch das Herzstück der Energiestrategie sein: Immerhin will die Stadt bis 2040 rund 56 Prozent des Wärmebedarfs durch Fernwärme abdecken können.

Hauptaugenmerk wird auf bestehende Gebäude gelegt

„Fernwärme ist ein endliches Gut. Aktuell wird sie dort ausgebaut, wo es strategisch sinnvoll, technisch möglich und wirtschaftlich ist“, sagt Michaela Deutsch, Leiterin des Geschäftsbereichs Energiedienstleistungen der Wien Energie und für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung auf Kundenseite verantwortlich. Wobei hier Hauptaugenmerk auf den historischen Gebäudebestand gerichtet sei. Das heißt, Aus- und Umrüsten, wo es geht, und das Netz dort verdichten, wo es bereits Leitungen existieren. Und das betrifft mehr den inneren Stadtbereich als die Außenbezirke, wo man mehr auf Wärmepumpen setzt beziehungsweise auf dezentrale, kombinierte Systeme.

Das bestehende Fernwärmenetz besteht laut Deutsch aus mehr als 1.300 sogenannten Trassenkilometern – insgesamt 400 Kilometer sollen in den kommenden Jahren noch dazukommen.

Durchschnittlich schließt Wien Energie laut Deutsch pro Jahr Fernwärmekunden (vorinstallierte Wohnungen, Neubauten und Gewerbe) mit einer Leistung von 70 Megawatt neu an das Netz an. Das entspricht umgerechnet dem Wärmebedarf von rund 20.000 Haushalten pro Jahr. Diese Leistung soll in den nächsten Jahren auf bis zu 90 Megawatt pro Jahr erhöht werden.

Ganz konkrete Ausbaupläne – also wo genau es künftig Fernwärme im Neubau und im Bestand geben soll und kann – gibt es laut Deutsch noch nicht. Diese seien gerade in Ausarbeitung: Im Rahmen des Projekts „Raus aus Gas“ werde gemeinsam mit der Stadt Wien ein strategischer Gesamtplan zur Dekarbonisierung der Raumwärme in Wien erarbeitet, der auch den weiteren Ausbau der Fernwärme sowohl im Neubau als auch Bestand beurteilen soll.

„Wichtig ist, dass dabei nicht einzelne Häuser oder gar Wohnungen betrachtet werden, sondern in Quartierslösungen und Möglichkeiten im Grätzl gedacht wird. Auch damit der Umstieg für die ganze Stadt effektiv und sozial gerecht erfolgen kann“, erklärt Wien Energie-Sprecherin Lisa Sophie Grohs. Das bedeutet: Wenn beispielsweise ein Gebäude keinen Platz für eine Wärmepumpen-Lösung hat, in näherer Umgebung aber etwa ein öffentliches Gebäude oder Gewerbe mit entsprechenden Räumlichkeiten ist, könne hier ein eigenes Heizsystem für die ganze Straße entstehen.
Die konkreten Ausbaupläne der Fernwärme hängen also unter anderem von der Netzverfügbarkeit, der Netzkapazität, der Wärmebedarfsdichte im jeweiligen Grätzl und der Menge an verfügbarer Fernwärme ab. Erst nach Abschluss dieser Planungen können laut Wien Energie weitere konkrete Aussagen zum Ausbau getroffen werden. Parallel dazu arbeitet die Wien Energie an Projekten – etwa mit Wiener Wohnen –, um für unterschiedliche Gebäudetypen Umstiegsszenarien entwickeln und dann in eine entsprechende Skalierung gehen zu können.

Gerade Neubaugebiete bieten sich Grohs zufolge für kombinierte Systeme mit Wärmepumpen, Tiefensonde und Abwärmenutzung an (siehe z.B. Village im 3. Bezirk oder Entwicklungsgebiet Wolfganggasse). So wird im dicht besiedelten Bestand laut Wien Energie die Fernwärme eine sehr wichtige Rolle spielen.

440.000 Haushalte werden derzeit mit Fernwärme versorgt

Dort, wo ein Anschluss an die Fernwärme nicht möglich ist, braucht es laut den Wien-Energie-Experten eine Berücksichtigung der Ressourcen am jeweiligen Standort, um dadurch das für den Standort optimale Energieversorgungskonzept für Wärme, Warmwasser, Kühlung und Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, wie etwa mit Wärmepumpen, Erdsonden oder PV-Anlagen zu gewährleisten.

Aktuell versorge die Wien Energie rund 440.000 Haushalte und 7.800 Großkunden mit Fernwärme, das Netz zähle zu den am besten ausgebauten in Europa. Fernwärme wird in Wien zumindest zu 50 Prozent in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen produziert, die aus Erdgas Strom und Wärme erzeugen (Gas-Heizkraftwerke). Zur Spitzenabdeckung, etwa wenn es im Winter besonders kalt wird, kommen Heizwerke zum Einsatz, die ebenfalls mit Gas betrieben werden.

Je nach Witterung und Temperaturen wird Fernwärme damit bis zu 65 Prozent aus Gas erzeugt. Etwa ein Drittel der Wärme stammt aus der Müllverbrennung, der Rest kommt aus industrieller Abwärme, etwa von der OMV oder Manner, Biomasse und Großwärmepumpen.

Bis 2040 soll Fernwärme auf Geothermie umgestellt sein

Die Wien Energie hat per 1. September ihre Fernwärmepreise um 92 Prozent erhöht. Der Grund dafür ist, dass die Fernwärme in Wien eben zu mehr als 50 Prozent aus Erdgas erzeugt wird. Bis 2040 wollen die Stadt und ihr kommunaler Versorger aber die Fernwärme auf Geothermie und Großwärmepumpen umstellen, um klimaneutral zu werden. Aufregung um das Unternehmen hatte es Ende August gegeben, als es überraschend beim Bund um eine Liquiditätshilfe in Milliardenhöhe angesucht hatte, weil sie Sicherheiten für ihre Börsengeschäfte hinterlegen musste.
Das sei durch eine Entwicklung ausgelöst worden, bei der sich der Preisunterschied zwischen Gas und Stromhandel in einer nicht zu erwartenden Dimension vergrößert hat. Die Wien Energie kauft nämlich mit Zukunftsverträgen Gas und verkauft Strom. Solange die Preise für beide Energieträger gleich stark schwanken, hat das Unternehmen wenig Probleme. Aber im August wurde binnen eines Tages Strom massiv teurer, während sich der Gaspreis kaum bewegte. Es gab vor allem vonseiten der ÖVP sofort Spekulationsvorwürfe, die allerdings später von mehreren Seiten entkräftet wurden. Trotzdem prüft inzwischen der Bundesrechnungshof, und auch ein eigener Untersuchungsausschuss im Wiener Gemeinderat ist in Vorbereitung.

2,8 Milliarden Euro für den Klimaschutz

Insgesamt will Wien in den kommenden zwei Jahren jedenfalls 2,8 Milliarden Euro in klimaschutzwirksame Maßnahmen investieren. Der Fahrplan für dieses Vorhaben enthält mehr als 100 Maßnahmen, für die Rahmenstrategie wurden insgesamt elf Zielbereiche definiert. Hier ist etwa auch die Wiener Photovoltaikoffensive enthalten. Private dürfen sich demnach über eine Vereinfachung bei der Errichtung von Kleinanlagen freuen. Viele davon – konkret Anlagen mit einer Engpassleistung bis maximal 15 Kilowatt ohne Stromspeicher (und ohne vertikale Montierung) – werden gar keine Genehmigung mehr brauchen, wurde angekündigt. Bei anderen soll das Verfahren schneller abgewickelt werden.
Im Bereich Abfall sollen mehrere Maßnahmen dazu beitragen, diesen zu reduzieren. Die Recyclingquote soll demnach schrittweise angehoben werden. Bis 2050 werde sie laut Stadt Wien 100 Prozent betragen. Das heißt, alle nicht vermeidbare Abfälle müssen dann verwertet werden. Und im Bereich Verkehr will man im städtischen Fuhrpark schon vor 2040 auf alternative Antriebe umstellen – also auf Verbrennungsmotoren verzichten.

Bis 2040 wollen die Stadt und ihr kommunaler Versorger die Fernwärme – was den Gasanteil betrifft – auf Geothermie und Großwärmepumpen umstellen, um klimaneutral zu werden. Bis zu einem Drittel der Wärme kommt aus der Müllverbrennung.Foto: apa / Pfarrhofer

Wiener Zeitung

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