Experte hält Pläne zur Energiewende für kaum realistisch

7. November 2022, Wien
Photovoltaikmodule werden auf Hausdach montiert - Stuttgart, APA/Deutsche Presse-Agentur GmbH

Die von der Politik verkündeten Pläne für die Umstellung des Landes auf eine Energieversorgung ohne fossile Energieträger werden aus Sicht eines Schweizer Experten für Österreich sehr teuer. Der Zeitplan für den Umbau des Systems sei außerdem „wenig realistisch“, schreibt Andreas Züttel, Professor an der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), in einer Analyse für das monatliche Magazin „Pragmaticus“.

„Eine Defossilisierung wird der Gesellschaft allerdings gewaltige Anstrengungen abverlangen“, schreibt Züttel und rechnet vor: Für die Energiewende wären 119 TWh Strom zusätzlich nötig – das entspricht fast dem Doppelten der aktuellen Stromproduktion. Will man das mit Photovoltaik schaffen, wäre zweieinhalb Mal die Fläche von Wien dafür nötig, mit Windkraft müssten 17.000 Windräder aufgestellt werden. Derzeit gibt es 1.300 Windräder in Österreich.

Um Sonnen- und Windstrom auch dann zu haben, wenn es dunkel und windstill ist, wären kurzfristige Stromspeicher von 387 GWh, was der Batterieleistung von 7,7 Mio. Elektroautos entspricht, nötig. Um über den Winter zu kommen, wo mehr Energie gebraucht aber weniger erneuerbarer Strom erzeugt wird, wären zusätzlich große saisonale Stromspeicher mit 33 TWh nötig – etwa die elffache Kapazität aller heute in Österreich in Betrieb stehenden Pumpspeicherkraftwerke (Kaprun, Maltatal usw.).

Abgesehen von Zweifeln an der logistischen und gesellschaftlichen Machbarkeit solcher gewaltiger Investitionen, weist Züttel auch auf die enormen Kosten hin: Knapp 3.500 Euro (3.482 Euro) pro Kopf und Jahr würden die nötigen Investitionen kosten – für eine vierköpfige Familie also gut 1.000 Euro im Monat.

In der öffentlichen Diskussion werde zu wenig unterschieden zwischen Stromverbrauch und allen anderen – meist fossilen – Energienutzungen. Strom mache aber weltweit nur knapp 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus. „Für den angestrebten völligen Verzicht auf fossile Energiequellen müssten auch Verkehr, Heizungen, industrielle Prozesse, Stromerzeugung und Speicherung komplett umgestellt werden“, erinnert Züttel im „Pragmaticus“. So würde die voestalpine alleine bei vollständiger Elektrifizierung die Hälfte der aktuellen Stromerzeugung Österreichs verbrauchen.

Der Mehrbedarf an Strom ist so gewaltig, obwohl das Weglassen fossiler Energieträger dank geringerer Umwandlungsverluste und höherer Wirkungsgrade von Elektromotoren helfen würde, ein gutes Drittel der Primärenergie einzusparen. Aber „mit jedem Windkraftwerk, mit jeder PV-Anlage, die ans Netz geht, steigt die verbrauchunabhängige Produktion und damit die Instabilität des Systems“, warnt Harald Schwarz, Professor des Lehrstuhls für Energieverteilung und Hochspannungstechnik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, ebenfalls im „Pragmaticus“. Zur Stabilisierung wären riesige Stromspeicher nötig. In Deutschland reichen diese derzeit nur, um das Stromnetz 30 bis 60 Minuten aufrecht zu halten. Österreich ist dank Pumpspeicherkraftwerken deutlich besser dran – Je nach Jahreszeit und Füllständen der Speicher beträgt die gesicherte Leistung für den aktuellen Strombedarf etwa zwölf Tage.

APA

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